Kritiker werfen der Schulbehörde vor, an der Ganztagsschule Fährstraße eine umstrittene Pädagogik zuzulassen

Wilhelmsburg. Kritiker und Befürworter der Waldorfpädagogik in Hamburg stehen sich offenbar unversöhnlich gegenüber: Bei einer Podiumsdiskussion am Mittwochabend in der Honigfabrik in Wilhelmsburg hat die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) ihre Bedenken gegen den Schulversuch geäußert, ab dem kommenden Schuljahr an der staatlichen Ganztagsschule Fährstraße Elemente der Waldorfpädagogik in den Unterricht einzubinden. Mit Zwischenrufen und in einer anschließenden offenen Diskussion warfen Anhänger der Lehren Rudolf Steiners den Veranstaltern vor, nicht zu wissen, wovon sie sprächen.

Anders als Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) hält es André Sebastiani von der GWUP für unmöglich, die pädagogischen von den esoterischen Elementen der Waldorfpädagogik zu trennen. Die Schulbehörde lasse damit wissenschaftlich zweifelhafte Lehren an einer staatlichen Schule zu, warnt der Grundschullehrer aus Bremen. Zum Beispiel müssen Lehrer an Waldorfschulen die vorherigen Existenzen ihrer Schüler ergründen.

Prominente Kritikerin des Schulversuchs ist Ursula Caberta: Es sei ein Skandal, dass der Hamburger Senat Kinder einer staatlichen Schule zu Versuchskaninchen einer umstrittenen Pädagogik mache, sagt die frühere Sektenexpertin in der Hamburger Innenbehörde. Ihrer Meinung nach sei der Erfinder der Waldorfpädagogik, Rudolf Steiner, der Okkultist des 20. Jahrhunderts. Welche Risiken befürchten die Kritiker? Kinder an Waldorfschulen würden erst später lesen lernen als an staatlichen Schulen, sagt André Sebastiani. Die Waldorfpädagogik fördere nicht das kritische Denken: „Die Entwicklung der eigenen Urteilskraft ist zwischen dem siebten und 15. Lebensjahr nicht vorgesehen“, sagt er. Körrie Kantner ist Inklusionslehrer an der Ganztagsschule Fährstraße und Musiker aus Wilhelmsburg. Die Waldorfpädagogik, sagt er, schließe viele beliebte Songs und Musikstile für den Unterricht aus. Er wird den Schulversuch nicht mittragen und die Schule wechseln.

Laura Sand war bis Anfang der neunten Klasse Schülerin an der Waldorfschule in Wandsbek. Dann wechselte sie auf ein staatliches Gymnasium. „Der Qualitätsanspruch des Unterrichts an der Waldorfschule war mir zu niedrig“, sagt Laura Sand. Im Russischunterricht habe sie bis zur sechsten Klasse nicht Russisch sprechen gelernt – im staatlichen Gymnasium startete sie zunächst mit der Note sechs. Im Fach Geschichte habe sie dem Lehrer zugehört und ein Bild dazu gemalt. Laura Sand habe am staatlichen Gymnasium viel Unterrichtsstoff nachholen müssen, sagt sie. Heute studiert sie Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg.

Laura Sand sagt aber auch, dass sie an der Waldorfschule den besten Musikunterricht erlebt habe. Die handwerklichen Fähigkeiten im Holzbau oder beim Nähen, die sie dort erworben hat, hätten sie im Leben weiter gebracht.

Die Ganztagsschule Fährstraße in Wilhelmsburg (etwa 300 Schüler) wird nach dem Sommerferien mit dem Verein Interkulturelle Waldorfpädagogik in einem acht Jahre dauernden Schulversuch zusammenarbeiten. Wie viel von Rudolf Steiners Weltbild wird die Schulbehörde zulassen?

Die Lehre Rudolf Steiners werde sich überhaupt nicht im Unterricht wiederfinden, erklärt die Hamburger Schulbehörde auf Nachfrage des Abendblattes. Das mit dem gesamten Lehrerkollegium abgestimmte pädagogische Konzept sehe unter anderem den Schwerpunkt Sprachbildung mit einem zusätzlichen muttersprachlichem Unterricht vor. Hintergrund: Etwa 80 Prozent der Schulkinder sind Migranten. Die Kinder erhielten mehr Zeit, sich vertieft mit Inhalten zu beschäftigen. Vorgesehen sei die Integration von Bewegung, Handwerken, Musik, Malen und Natur.

Alle Lehrer haben das erste und zweite Staatsexamen. Die Aufsicht habe weiterhin der Staat, heißt es in der Antwort der Schulbehörde.

Bei der Podiumsdiskussion in der Honigfabrik ist die Gesprächsatmosphäre bisweilen hitzig. Waldorfbefürworter werfen dem Veranstalter vor, das Podium nur mit eigenen Leuten besetzt zu haben. Der Schulsenator und die Waldorfinitiative hätten die Einladung nicht angenommen, erklärt André Sebastiani den Grund. Er räumt ein, dass die Kritiker bewusst ihre Argumente den Eltern in Wilhelmsburg vorstellen wollten: „Weil wir seit Jahren nicht zu Wort gekommen sind.“