Beim Musikfest 48h Wilhelmsburg bespielen Bands und DJs die Elbinseln an den seltsamsten Konzertorten

In seinem fünften Jahr ist das Musikfest 48h Wilhelmsburg größer denn je: 162 Bands, Ensembles, Solomusiker und DJs geben am kommenden Wochenende an drei Tagen Konzerte überall auf den Elbinseln Wilhelmsburg, Veddel und Kleiner Grasbrook. Das bedeutet knapp 50 Auftritte mehr als im Vorjahr. Das Musikspektakel ist das Konzertereignis in Hamburg mit den meisten ungewöhnlichen Spielorten – und deshalb wohl auch das charmanteste. Bands spielen auf Balkonen, in privaten Wohnzimmern, im Tatoo-Studio oder in Schrebergärten.

80 Spielorte gibt es in diesem Jahr – auch das ist Rekord. Neu dabei ist der Fahrradladen „Velo 54“ in der Veringstraße, der mehr mit einer Kunstgalerie als mit einer Schrauberhöhle gemein hat. Zwischen den Zweirädern spielt das Duo Ray Bäm seinen kruden, aber tanzbaren Sound mit Beatbox und Maultrommel irgendwo zwischen HipHop, Funk und Trance (Sonnabend, 14. Juni, 20 Uhr).

Premiere hat auch ein Konzert in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt am S-Bahnhof Wilhelmsburg. Der Kuppelsaal vor dem Stadtmodell dient dem Jazzmusiker Sven Kacirek als Bühne (Sonntag, 15. Juni, 14.30 Uhr) für einen der Höhepunkte des Musikfestes.

Die ungewöhnlichen Spielorte scheinen dem Veranstalter, das Netzwerk Musik auf den Elbinseln, nie auszugehen. Neue Orte gäbe es ohne Ende, sieht Produktionsleiter Timo Gorf noch Potenzial für kommende Jahre. Sein persönlicher Lieblingsplatz für ein Konzert wäre ein alter Lokschuppen auf dem Bahngelände nahe demVogelhüttendeich. Eine andere Idee gefällt ihm mindestens genau so gut: „Einfach mal die Wilhelmsburger Reichsstraße sperren.“

48h Wilhelmsburg bedeutet, einfach in dem Stadtteil loszuziehen – und an jeder Ecke gibt es irgendwie kostenlos Live-Musik. „Der Stadtteil ist der Headliner“, sagt deshalb auch Katja Scheer, die Projektleiterin des Musikfestes.

Die Philosophie des nicht-kommerziellen Musikfestes ist es, alle Künstler gleich zu bezahlen. Jeder Musiker erhält 50 Euro Aufwandsentschädigung, bei Bands gedeckelt bis zu 250 Euro. Die Bands spielen auf Hut, wie es in der Szene heißt. Die Konzerte sind kostenlos. Die Zuhörer entscheiden selbst, ob sie am Ende etwa Geld geben oder nicht.

Trotzdem hat das Musikfest seine künsterischen Hauptattraktionen. Neben dem bekannten Jazzmusiker Sven Kacirek ist das die Punk-Allstarband Ratttengold – mit drei „t“, weil das so richtig dreckig klingt. Unter diesem Namen spielen Jens Rachut, Andreas Ness, Armin Nagel und Wieland Krämer die Hits ihrer aufgelösten Bands Oma Hans oder Kommando Sonne-nmilch (Freitag, 13. Juni, 19.30 Uhr, Honigfabrik).

Punkrock und Klezmer auf einem Musikfest – das Nebeneinander alle denkbaren Musikgenres ist charkteristisch für 48h Wilhelmsburg. Der aus dem NDR bekannte Musiker Lutz Cassel erinnert in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt bei einem Spaziergang für alle an das jüdische Schicksale auf den Elbinseln (Sonntag, 15. Juni, 13 Uhr, Stübenplatz). Und weil es keine Berührungsängste gibt, hat der Veranstalter noch zwei Open-Air-Clubs mit elektronischer Tanzmusik neu ins Programm geholt.

Zum Selbstverständnis des nicht-kommerziellen Musikfestes zählt es, auf Einnahmen aus der Lizenzvergabe für Bierstände zu verzichten. Bei 48h Wilhelmsburg gibt es keine Bierbuden mit Exklusivrechten. Das Fest ist auf rund 44 Quadratkilometer Hamburg verteilt – und die örtlichen Kioske, Bars und Kneipen sollen davon profitieren.

Das Musikfest hat ein Budget von 100.000 Euro. Weil es so schnell und stark gewachsen ist, fehlen zuerzeit noch 30.000 Euro in der Kasse. Zum ersten Mal in seiner Geschichte setzt der Veranstalter deshalb auf Merchandising. Wer das etwas andere Festival unterstützen will, kann ein T-Shirt zum Stückpreis von 25 Euro erwerben.

Das Design stammt aus Wilhelmsburg. Der Grafiker „Bunker 93“ hat zwei Motive realisiert: das Musikfest-Logo in Türkis auf St.-Pauli-Braun oder ein türkisfarbenes Shirt, auf dem die Namen aller beteiligten Künstler in Form der Elbinseln angeordnet sind.

Weil bei 48h Wilhelmsburg kein Ort seltsam genug sein kann, macht die mobile Sauna Zunderbüchse während des Musikfestes vor dem Interkulturellen Garten (nahe Veringstraße 147) Station und heizt den umgebauten Wohnwagen auf 100 Grad an. Heißer ist kein Musikspektakel in Deutschland.

48h Wilhelmsburg; Freitag, 13. Juni, bis Sonntag, 15. Juni, 162 Konzerte, Eintritt frei