Kehrtwende im Umweltschutz ein Jahr nach dem letzten Hochwasser an der Elbe

Bleckede. Es ist ein Novembermorgen, als der Minister an die Elbe kommt. Die Menschen haben Angst um Haus und Hof. Zu hoch hat das Wasser in zwei Jahren zwei Mal gestanden, um hier noch unbesorgt leben zu können. An diesem Herbstmorgen in Bleckede geht es deswegen um einen neuen Deich – und darum, Gehölz im Elbvorland zurückzuschneiden. Der Minister redet, diskutiert und erklärt. Dann greift er zur Kettensäge und fällt eine Weide.

Das war 2006. Naturschützer kopierten Fotos der Fällaktion und machten eine Kampagne daraus: „Kettensägen-Sander“, „Umwelt-Rambo“. Umweltverbände brachten ein Prüfverfahren wegen möglicher Verletzung des europäischen Naturschutzrechts in Gang. Siebeneinhalb Jahre später vermelden die Behörden: Die Europäische Kommission erlaubt den vorgezogenen Rückschnitt auch in Zonen, die jahrelang als Tabu galten.

2002, 2003, 2006, 2011 und 2013: Fünf Fluten haben die Menschen an der Elbe in den vergangenen Jahren erlebt. Die Deiche sind heute streckenweise höher als vor zwölf Jahren, anderswo stehen Schutzwälle, wo bisher Lücken in der Linie waren. Altarm-Anbindungen, Abgraben von Sedimenten, Anlage von Flutrinnen und -poldern, Deichrückverlegungen und –neubauten, all das ist in Niedersachen und Mecklenburg-Vorpommern beim Thema Hochwasserschutz im Gespräch. Bundesverkehrsministerium, Bundesumweltministerium und die Elbe-Bundesländer arbeiten an einem Gesamtkonzept Elbe.

Die Entscheidung der Europäischen Kommission wertet der Artlenburger Deichverband dennoch als „Kehrtwende bei der Bewertung von Hochwasser- und Naturschutz“. Der Deichverband ist für 45 Hochwasser-Deichkilometer an der Elbe verantwortlich und betreut den Bereich bei Bleckede, wo die Europäische Union (EU) jetzt vorgezogene Maßnahmen sogar in besonders streng geschützten Weichholz-Auen erlaubt hat. Als Ausgleich werden weit weg vom Elbufer neue Auwälder angepflanzt.

„Die Europäische Union setzt Leib und Leben vor Naturschutz“, wertet Deichhauptmann Hartmut Burmester die Entscheidung aus Brüssel. Beginnen darf der Rückschnitt von Büschen, Bäumen, Weiden und Hecken im Deichvorland im Herbst, danach sollen die Arbeiten jährlich zwischen Anfang Oktober und Februar fortgesetzt werden. Nach Berechnungen des Bundesamts für Gewässerkunde sollen durch die sieben vorgezogenen Maßnahmen sieben Zentimeter gewonnen werden: sieben Zentimeter weniger Pegel bei Hochwasser.

Deichverbands-Geschäftsführer Norbert Thiemann nennt den Rückschnitt „unsere einzige Chance, das Wasser abfließen zu lassen“. Mehr Raum durch die Rückverlegung von Deichen könne der Elbe in dieser Region nicht gegeben werden, weil die Bebauung hinter den Deichen zu dicht sei.

Damit darf die Debatte um Deich-Rückverlegungen aber nicht enden, sagt der langjährige Elbe-Streiter Dr. Ernst Paul Dörfler vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). „Selbst wenn das in Niedersachsen nicht möglich ist, müssen wir länderübergreifend mehr Rückhalteflächen suchen. Die Siedlungsdichte an der Elbe ist weit niedriger als am Rhein. Wer sagt, wir können das nicht, der will nicht.“

Dass die Europäische Union nun grünes Licht gegeben hat für eine Aktion, die einen Umweltminister vor Jahren zum verschmähten „Umwelt-Rambo“ gemacht hat, kommentiert der Naturwissenschaftler so: „Nun könnte man sagen, Herr Sander war ein Prophet und wusste, was gut, richtig und legal ist. Es ist aber durchaus denkbar, dass die EU nachgegeben hat, um den Druck aus dem Kessel zu lassen.“ Punktuell seien Rückschnitte nötig, das sieht auch Dörfler so. „Aber nur, wenn der Abfluss nachweislich blockiert ist und sich Wasserstände durch Barrieren anheben.“