Eine IBA-Tour zeigt, wie rasant sich der Harburger Binnenhafen zu einem Wohnquartier mit industriellem Ambiente entwickelt

Harburg. Ein Brautpaar posiert für sein Hochzeitsfoto in dem neu geschaffenen Park am Harburger Schloss. Schloss mag etwas übertrieben klingen. Aber das stattliche gründerzeitliche Mietshaus bietet allemal eine würdige Kulisse. Und es verspricht Exklusivität: Denn obwohl die frühere Stadt Harburg hier ihren Ursprung hat, haben Stadtplaner das Schloss erst seit einigen Jahren mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) im Hamburger Süden wieder zurück ins Stadtbild geholt.

Vor einigen Jahren noch wäre ein Brautpaar nie auf die Idee gekommen, ausgerechnet die Harburger Schlossinsel aufzusuchen. Die Szene zeigt, wie sich die Schlossinsel im Harburger Binnenhafen von einem Industrie- und Hafengebiet zu einem Wohnquartier zu verändern beginnt.

Wer den Binnenhafen zu Fuß erkundet, entdeckt Straßen und Plätzen, die noch in keinem Stadtplan verzeichnet sind – so dynamisch ist die Entwicklung. Die am Kanalplatz ansässige Stadtplanerin Birgit Caumanns bietet jeden Sonnabend bis Ende Oktober kostenlose Führungen an und erläutert bei einem zwei Stunden langen Spaziergang Geschichte und Zukunft des Wasserquartiers.

Auftraggeber ist die Internationale Bauausstellung GmbH, die auch nach dem offiziellen Ausstellungsjahr 2013 weiter existiert. Viele Menschen wüssten gar nicht von den Gratis-Touren im Jahr eins nach der IBA, sagt Birgit Caumanns. So sei sie sogar einmal mit einem einzigen Gast losgezogen.

Am Sonnabend zu Pfingsten sind es drei Besucher, die den Harburger Binnenhafen geführt entdecken wollen. Eine von ihnen ist Maica Horwege. Die Gymnasiallehrerin macht sich ein Bild von dem, was in zwei Wochen an der Wichern-Schule Abiturthema sein wird. Die evangelische Privatschule im Hamburger Stadtteil Hamm lehrt den Abiturienten Stadtgeografie, und die Entwicklung in Harburg wird Prüfungsthema sein.

Bis zu Beginn der Internationalen Bauausstellung lebten gerade einmal 300 Menschen im Harburger Binnenhafen. Mittlerweile seien etwa 270 hinzugezogen. Ende Juni ist die Grundsteinlegung für insgesamt sechs Gebäude mit 61 Wohneinheiten am Kaufhauskanal. Lange galt diese Ecke wegen des Umgebungslärms als unbewohnbare Bruchkante. In Zukunft werde es im Harburger Binnenhafen 1000 bis 1500 Wohneinheiten geben, sagt Birgit Caumanns. Deshalb sei auch die geplante, zusätzliche Fußgängerbrücke über den Lotsekanal konsequent. „Es ist wichtig, dass es kürzere Wege gibt“, sagt Birgit Caumanns. Auch wenn nur 300 Meter weiter bereits eine Querung existiert.

Der sogenannte „Brückenschlag zur Schlossinsel“ ist umstritten. Gegner sehen darin eine Störung des Schiffsverkehrs und oder die kalkulierten Kosten von etwa zwei Millionen Euro schlicht als Steuerverschwendung. Für die Bewohner des Quartiers bedeutet sie ein wichtige Infrastrukturmaßnahme.

Im Binnenhafen gibt es Häuser mit Bootsliegeplätzen, wo sonst eine Tiefgarage wäre. Oder Gebäude mit außen an der Fassade angebrachten Abstellräumen mit Wasseranschluss. Das Wohnbauvorhaben „Marina auf der Schlossinsel“, das wegen der Insolvenz des Bauunternehmers still steht, transportiert die Fassade eines Silos in die Moderne. Die Experimentierfreude der Architekten ist aber nicht grenzenlos: Ein geplantes, „Goldfisch“ genanntes Bürogebäude mit goldener Fassade hat Bedenken des Denkmalschutzamtes hervorgerufen, weil es ein zu radikaler Bruch in der Umgebung sei.

Was heute als Harburger Binnenhafen bekannt ist, war früher ein im Jahr 1840 vom Königreich Hannover geschaffener Seehafen. Harburg müsse sich ordentlich ins Zeug gelegt haben, erklärt Birgit Caumanns, warum nicht Städte an der Nordsee zum Zuge kamen.

In dem Industrie- und Hafengebiet, dass zwischen 1970 und Mitte der 1990er-Jahre seien Tiefpunkt erlebte, entsteht heute immer mehr Aufenthaltsqualität. Auf den verschiebbaren schweren Holzliegen auf den früheren Industriegleisen an der Lotsepromenade lümmeln sich bei herrlichen Sommerwetter Menschen und trinken Wein. „Die Liegen werden gut angenommen“, hat Birgit Caumanns beobachtet.

Verlassen und einsam wirkt dagegen der große Platz zwischen Lotsepromenade und dem Harburger Schloss. Ein Straßenschild, das dem Ort einen Namen gibt, existiert noch nicht. Quartierskennerin Birgit Caumanns kann weiterhelfen: „Das ist der Lotseplatz“, sagt sie.

Was wie eine Steinwüste wirkt, hat städtebaulich seine Funktion: Der leere Raum ist Luxus, er hält die Sichtachse zum Harburger Schloss frei. Es sind die kleinen Details, auf die Birgit Caumanns hinweist, die die geführte Tour so wertvoll machen: Der leere wirkende Platz hat seine Reize. Rostig wirkender Stahl an den Straßenlaternen ist eine Reminiszenz an die Vergangenheit als Hafenquartier.

Heruntergekommene Wirkung ist hier bewusster Chic. Deshalb ist auch das schwarze Granulat am Rande des Platzes mit Stahlkugeln versetzt, die zu rosten beginnen. So wird künstlich industrielles Ambiente geschaffen.

Birgit Caumanns widerspricht der weit verbreiteten Meinung, der vom Harburger Schloss heute nur noch existierende westliche Flügel sei ein eher minderwertiges Überbleibsel einstiger Festungspracht. Der Westflügel sei immer das Haupthaus gewesen, sagt sie: „Das heutige Harburger Schloss ist der älteste Teil.“ Die Quartiersführerin hat also auch für Kenner des Binnenhafens noch Überraschendes zu bieten.

IBA-Tour: „Harburger Binnenhafen entdecken“, jeden Sonnabend 16 bis 18 Uhr (bis Ende Oktober), Start: Kanalplatz 6, Teilnahme kostenlos