Li und ihr kleiner Bruder Rui sind beliebte Mitschüler. Die Ausländerbehörde möchte ihre Familie nach China abschieben. Dort droht ihnen Gefahr

Sinstorf. „Ding-Dang-Dong“ geht die Schulglocke in absteigender Tonfolge. Große Pause. Erstklässler Jia Rui Liu kommt mit seinen Klassenkameraden herausgelaufen. Sie wollen Merkball spielen. Eine Minute später betreten seine große Schwester Jia Li und ihre Freundinnen den Schulhof. Die Drittklässlerinnen wollen in der Sonne spazieren gehen und quatschen. Ein harmonisches Bild in einer harmonischen Grundschule. Geht es nach der Hamburger Ausländerbehörde, sollen Rui und Li allerdings nicht mehr zum Bild gehören. Die Stadt möchte die Kinder nach China abschieben. Ob sie in dem Fall jemals wieder eine Schule besuchen werden, ist sehr unwahrscheinlich, sagt der Anwalt der Familie.

„Da die Eltern gegen diverse Maßgaben der Ein-Kind-Politik Chinas verstoßen haben, werden die Behörden die Kinder nicht ins Melderegister aufnehmen. Damit entfallen Schulbesuch, Gesundheitsversorgung und andere Selbstverständlichkeiten“, sagt Rechtsanwalt Georg Debler. Der Mutter droht die Zwangssterilisation.

Alle juristischen Mittel sind ausgeschöpft. Das Verwaltungsgericht Hamburg hat die Ausweisung bestätigt. „Der Richter hat zwar anerkannt, dass es all diese Probleme in China gibt, glaubt jedoch nicht, dass es im Falle dieser Familie zutreffen wird“, sagt Debler.

Die Ermessenshürde, die die Bedrohung zu nehmen hat, nennt sich „beachtliche Wahrscheinlichkeit“ und ist prinzipiell so hoch, wie der Richter will. Im Fall von Frau Liu sah der Richter die beachtliche Wahrscheinlichkeit nicht gegeben. „Dabei haben wir Recherchen anstellen lassen, die belegen, dass in der Provinz Zeijang, aus der Frau Liu stammt, Zwangssterilisationen an der Tagesordnung sind und Verstöße gegen die Ein-Kind-Politik mit hohen Geldstrafen geahndet werden, die die Eltern nicht bezahlen könnten“, sagt Anwalt Debler. Dies würde Haftstrafen nach sich ziehen und die Eintragung ins Melderegister unmöglich machen.

Juristisch ist nichts mehr zu machen. Die Ausländerbehörde hat bereits Passersatzpapiere für die Eltern und die Kinder vorliegen und könnte jederzeit abschieben. Jetzt kann nur noch die Politik helfen. Die Härtefallkommission des Eingabenausschusses in der Hamburger Bürgerschaft kann – jedoch nur mit einstimmigem Votum – das Bleiberecht für die Familie verfügen. Die entsprechende Eingabe hat Anwalt Debler bereits an den Ausschuss gestellt. Damit darf die Familie zumindest bleiben, bis die Härtefallkommission entschieden hat.

Auch an der Schule von Li und Rui, der Grundschule Scheeßeler Kehre, hat man den Ernst der Lage erkannt. Der Elternrat wurde aktiv und sammelte Unterschriften, um die Eingabe bei der Bürgerschaft zu unterstützen. Innerhalb einer Woche kamen an der kleinen Schule mit etwas über 300 Schülern 196 Unterschriften zusammen. Li und Rui sind beliebt bei ihren Mitschülern. Beide waren bereits Klassensprecher.

„Rui würde in der Klasse fehlen. Er ist nicht einfach nur integriert, sondern er ist eine Stütze der Klassengemeinschaft“, sagt Klassenlehrerin Yvonne Stein. „In den Klassenbesprechungen hat er immer gute und kreative Ideen, auch zur Lösung von Konflikten.“ Ähnlich lobend spricht auch Lis Klassenlehrerin Kathrein Niemann-Baecker von ihrer Schülerin.

Auch Schulleiterin Helga Kedenburg schwärmt von den Geschwistern. „Ohne die Abschiebeproblematik hätte ich eigentlich gar nichts mit den beiden zu tun, weil es in der Schule nie Probleme mit ihnen gibt.“, sagt sie. „Aber als ich die Familie zur Ausländerbehörde begleitete, bekam ich mit, wie aufgeweckt und wissbegierig beide Kinder sind. Gerade Rui sprudelte nur so vor Dingen, die er erzählen und erklären wollte. Ich fände den Gedanken unerträglich, wenn diese Kinder keine Schule mehr besuchen dürften.“

Auch die Atmosphäre in der Familie beeindruckt Helga Kedenburg: „Diese Kinder wachsen hier mit soviel Fürsorge auf, wie wir es eigentlich für alle Kinder als Idealzustand wünschen würden. Und das soll jetzt alles zerstört werden.“ Die Elternschaft der Schule hat ein ganz ähnliches Bild: „Die Kinder und die Familie sind in der Schulgemeinschaft integriert und beliebt“, sagt der Elternratsvorsitzende Enno Stöver. „Die Nachricht von der drohenden Abschiebung hat alle wie ein Schock getroffen. Deshalb kamen auch so schnell so viele Unterschriften zusammen.“

„Ding-Dang-Dong“ läutet die Schulglocke die Pause aus. Li und ihre Freundinnen haben den Schulhof mehrmals umrundet. Rui und seine Kumpels haben sich ordentlich ausgetobt. Ein paar Wochen noch, dann sind Sommerferien. Li und Rui wissen, dass sie vielleicht nach den Ferien nicht wiederkommen. „Wenn ich nach China muss, würde ich am meisten meine Freundinnen vermissen“, sagt Li.