Polizeiinspektion Harburg geht mit Präventionsprojekt in die Fahrschulen. Beamte arbeiten reale Fälle auf

Buchholz. Mandy war 23, als sie auf der Landstraße ihr Leben verlor. Rettungskräfte zogen sie aus dem Unfallfahrzeug, doch für die junge Frau kam jede Hilfe zu spät. Mit zahlreichen Knochenfrakturen landete sie schließlich in der Pathologie auf dem Untersuchungstisch. „Zertrümmerter Schädel, gebrochenes Genick. Nase und Mund voller Blut – so haben wir Mandy kennengelernt“, erzählt Polizistin Linda Mossau. Unfälle und ihre Folgen so zu zeigen, wie sie sind, nichts beschönigen, sondern abschrecken und aufklären – das ist das Ziel eines neuen Präventionsprojektes. Seit Anfang 2013 tingeln Beamte der Polizeiinspektion Harburg damit von Fahrschule zu Fahrschule. Jetzt waren sie bei Fletschok in Buchholz zu Gast.

17 Fahrschüler zwischen 16 und 18 Jahren saßen in der ersten Reihe, als Polizeikommissar und Verkehrssicherheitsbeauftragter Dirk Poppinga mehrere demolierte Fahrzeuge per Beamer an die Leinwand warf. „Ihr steht vor eurer Karriere als Autofahrer. Um euch in die richtige Richtung zu lenken, sind wir heute hier.“ Denn statistisch betrachtet seien vor allem Fahranfänger häufig an schweren Unfällen beteiligt. Meistens auf Landstraßen, wo viele Bäume dicht am Straßenrand stehen und Wild die Seiten wechselt. Laut Weltgesundheitsorganisation sterben mehr junge Leute heutzutage im Straßenverkehr als an schweren Krankheiten. Auch im Landkreis Harburg ist die Zahl groß: 2011 wurden bei 6040 Unfällen insgesamt 1104 Menschen verletzt, 14 getötet. Jeder Dritte war zwischen 18 und 24 Jahre alt. „Also in etwa so alt wie ihr und Fahranfänger“, betont Dirk Poppinga.

Wie Alexander. Der Gymnasiast holte im Sommer 2011 seine Schwester und deren beste Freundin vom Flughafen ab, als ein Unfall sein Leben und das seiner Familie und Freunde veränderte. In Toppenstedt verlor der 19-jährige Fahrer in einer Kurve die Kontrolle über den VW Polo seiner Mutter. Seine Schwester übersteht den Unfall fast unbeschadet, ihre Freundin stirbt. Und auch Alexander überlebt nur knapp, leidet noch immer an den Folgen des Unfalls – körperlich und seelisch. „Ich kann das nicht vergessen. Ich weiß, ich habe ein Menschenleben auf dem Gewissen, weil ich zu schnell war und unverantwortlich gehandelt habe. Das bekomme ich nicht mehr aus dem Kopf“, sagt der Fahrer in einem Interview, das er ein Jahr nach dem Unfall einem Fernsehsender gab.

Das Interview ist heute ein wesentlicher Bestandteil des Präventionsprojektes der Polizei, ebenso wie ein aufgezeichnetes Gespräch mit der Mutter von Bilal, der im Januar 2012 in Tangenstedt tödlich verunglückte. Der 15-Jährige fuhr am Abend mit drei Freunden durch die Gegend. Auf schnurgerader Straße geriet der Fahrer des Autos dann aus bislang ungeklärter Ursache auf die Gegenfahrbahn und stieß frontal mit einem Lastkraftwagen zusammen. Bilal und der 17 Jahre alte Beifahrer waren sofort tot, die beiden anderen Insassen überlebten schwer verletzt. „Bilals Mutter ist später auf uns zugekommen und hat gefragt, ob sie irgendetwas tun könne, damit solche schrecklichen Unfälle in Zukunft nicht mehr passieren“, sagt Dirk Poppinga. „Ich habe sie dann um das Interview gebeten.“

In dem kurzen Clip wird das Leid und Elend, dass Bilals Tod über die Familie, die Freunde, Rettungssanitäter, Polizisten und andere Helfer gebracht hat, deutlich spürbar. Und sie scheinen Wirkung zu zeigen. „Die Bilder schrecken ab. Man sollte wirklich immer vorsichtig fahren“, sagt die 17-Jährige Alica Rautenberg. Lara-Marie Krause (16) fügt hinzu: „Ich steige bestimmt nicht in ein Auto zu jemandem, der zu schnell fährt oder angetrunken hinter dem Steuer sitzt.“

Für Luca-Antonia Grühn (16) waren die Worte von Bilals Mutter nur schwer zu ertragen. „Die haben mich ziemlich berührt. Ich fand, man hat ihren Schmerz richtig gespürt." Linda Hansen (16) fand den Vortrag der Polizisten „ziemlich schockierend.“ Auch, weil die beste Freundin ihrer Cousine zu den Unfallopfern gehörte, deren Fälle die Polizisten präsentierten. „Darauf war ich nicht vorbereitet.“

Dass die Fahrschüler die Opfer persönlich gekannt haben, lasse sich nicht ganz ausschließen, sagt Dirk Poppinga. „Wir haben uns ganz bewusst gegen Fotos von Autobahnunfällen entschieden, sondern wollten die Situation in unserem Landkreis zeigen.“

Ob die Polizisten damit Erfolg haben, sei nur schwer zu evaluieren. „Aber ich behaupte, dass ich mit meinem Einsatz mindestens einen Unfall verhindere. Und damit ist doch schon etwas gewonnen.“