Die Besucherinnen des Mädchentreffs setzen sich nicht nur für den Erhalt ihrer Einrichtung ein, sondern wollen auch Leiterin Annette Backa behalten

Harburg. Cansel ist sauer: „Der Mädchentreff ist unser zweites Zuhause“, sagt die 17-Jährige. Ab Freitag muss die Schülerin allerdings erst einmal darauf verzichten. Der Treff geht in die vorzeitigen Ferien. Wer ihn nach den Ferien wieder aufmacht, ist noch nicht geklärt. Für die Einrichtung, die bislang zum Frauenkulturhaus gehörte, wird ein neuer Träger gesucht. Die langjährige Mädchentreff-Leiterin Annette Backa gibt deshalb am Freitag vorsorglich ihr Abschiedsfest. Auch das verbessert Cansels Laune nicht: „Ich habe Annette so viel zu verdanken, genau wie die anderen Mädchen auch. Man kann sie doch nicht einfach so wegschicken!“

Dass der Mädchentreff erhalten werden soll, ist der erklärte Wille der Harburger Kommunalpolitik und Verwaltung. Das Versprechen des Bezirks: Direkt nach den Sommerferien geht der Betrieb weiter. Das Frauenkulturhaus, der bisherige Träger des Treffs, ist allerdings insolvent. Der Bezirk hatte dem Verein die Finanzierung entzogen, nachdem es zu Unstimmigkeiten zwischen Verein und Verwaltung darüber gekommen war, ob das Geld so verwendet wurde, wie es sollte. Nun wird ein neuer Träger gesucht. Dabei gibt es zwei Ansätze: Der eine sieht vor, dass der neue Träger alle drei ehemaligen Säulen des Frauenkulturhauses, die feministische Kulturarbeit, die Lebensberatung für Frauen und eben den Mädchentreff in einer Hand weiterführt. Im anderen Ansatz würden drei verschiedene Träger die Aufgaben übernehmen.

„Uns wäre es lieber, wenn der Mädchentreff einen eigenen Träger bekäme“, sagt Cansels Freundin Rabea. „Bei uns gab es keine Unregelmäßigkeiten.“

Zwei Vertreterinnen des Mädchentreffs sitzen in dem Auswahlgremium, das den neuen Träger finden soll. Sie haben kein Stimmrecht, aber sie werden gehört. Den Mädchen geht es vor allem darum, dass Annette Backa bleiben kann. Es gibt Bewerber um die Trägerschaft des Treffs, die bereits signalisiert haben, die Sozialpädagogin zu übernehmen. Backa leitet den Mädchentreff, seit dieser vor 19 Jahren eröffnet wurde. Sie genießt nicht nur das Vertrauen der Besucherinnen – auch deren Eltern vertrauen ihr. „Eigentlich darf ich hingehen, wo ich will“, sagt Rabea, „aber wenn ich zu Hause sage, dass ich zu Annette gehe, habe ich keinen Streit.“

Im Treff erhalten Mädchen zwischen neun und 18 Jahren Hausaufgabenhilfe, Ratschläge in allen Lebenslagen, man kocht gemeinsam und plant kulturelle Aktivitäten. Das alles schafft Annette Backa nicht allein. Honorarkräfte nehmen ihr einen Teil der Arbeit ab. Aber sie ist die zentrale Figur und Bezugsperson: „Annette ist eine zweite Mutter für uns“, sagt Cansel, „ohne Annette wäre ich nicht da, wo ich bin. Dank Annette mache ich die Schule weiter und bin auch privat viel selbstbewusster.“ Die Vorbildfunktion der Mädchentreff-Leiterin geht so weit, dass viele ihrer Besucherinnen soziale Berufe für sich auswählen. „Aus dem Mädchentreff sind zwar auch schon Polizistinnen und eine Flugzeugbauerin hervorgegangen, aber viele gehen in die Pädagogik“, sagt Backa.

Viele Mädchen eifern der Clubleiterin nach und ergreifen soziale Berufe

So wie Susan Leiluma. Die 22-Jährige schmuggelte sich schon als Vierjährige, fünf Jahre zu jung, mit ihren Schwestern in den Treff. Seit ihrem zehnten Lebensjahr kommt sie regelmäßig – längst aber nicht mehr als Besucherin, sondern als Honorarkraft. Die Ausbildung zur Sozialpädagogischen Assistentin hat sie geschafft, die Fortbildung zur Erzieherin läuft. Mit dem damit verbundenen Fachabitur will Susann Sozialpädagogik studieren. „Ich wollte fertig sein, bevor Annette in Rente geht“, sagt sie, „damit ich sie ablösen kann. Das habe ich immer als Scherz gemeint. Jetzt hoffe ich trotzdem, dass es möglich ist.“

Auf ihr Vorbild lässt sie nichts kommen. „Ich habe in meinen Ausbildungen gelernt, dass so engagierte Pädagoginnen wie Annette eher die Ausnahme sind. Ich will so werden, wie sie.“

Susan Leiluma begleitet die Mädchen des Treffs auch auf die Ferienreise im Sommer. Damit diese stattfinden kann, hat offiziell der Jugendclub Heimfeld die Verantwortung dafür übernommen. Den Jugendclub Heimfeld kennen viele der Mädchen gut. Ihre Brüder gehen dorthin. „Aber die machen Stress, wenn wir auch mal in den Jugendclub wollen“, sagt Cansel. „Die wollen nicht, dass wir mit solchen Typen wie ihnen herumhängen.“

Im Mädchentreff hingegen quatschen die Brüder ihren Schwestern nicht ins Leben. So entsteht Selbstbewusstsein, zum Beispiel, indem die Mädchen selbst Projekte entwickeln und erfolgreich durchziehen. Cansel und Rabea haben gerade einen Tanzkursus auf die Beine gestellt, der integrativ wirkt: Bei ihren türkischen Volkstänzen machen auch Deutsche mit.

Das Auswahlgremium für den neuen Mädchentreff-Träger trifft sich am 12. Juni noch einmal. Dann soll eine Entscheidung fallen. Die wird dem Jugendhilfeausschuss der Bezirksversammlung mitgeteilt. Dieser kommt dann wahrscheinlich vor den Ferien noch einmal zusammen und gibt sein politisches Votum ab. Im August soll der neue Träger dann den Betrieb im Mädchentreff übernehmen. Es ist sehr gut möglich, dass Annette Backa ihre Arbeit dann fortsetzen kann, aber es ist nicht garantiert. Deshalb würde sich Annette Backa freuen, wenn möglichst viele am Freitag das Haus besuchen würden. „In fast 20 Jahren sind ja viele Ehemalige zusammengekommen, über deren Besuch ich sehr erfreut wäre. Zum Teil betreue ich jetzt schon die Töchter ehemaliger Besucherinnen.“

Das wäre auch in Cansels Sinn: „Ich will meine Töchter auch dorthin schicken, wenn ich welche habe“, sagt sie.