Die Kalligrafin Eveline Petersen-Gröger gestaltet die Königsseiten im Goldenen Buch der Harburger Schützengilde

Harburg/Vahrendorf. Ganz vorsichtig hebt Eveline Petersen-Gröger den schweren Folianten aus der schützenden Pappschachtel. Das Goldene Buch der Harburger Schützengilde hat unschätzbaren ideellen Wert. Es ist ein unersetzliches Dokument der jüngeren Gildegeschichte. Edwin Carl Thies senior hat es im Jahr seiner Regentschaft gestiftet. Seit 1955 schreiben sich alle Gildekönige ein. Genauer: Sie lassen im kostbaren Lederband mit feinem Goldschnitt kunstvoll zu Papier bringen, was sie der Nachwelt mitteilen möchten – Gedichte, Anekdoten, Danksagungen, Sinnsprüchen und persönliche Erinnerungen an ihr Königsjahr.

Majestät Hans Heinrich Böttcher setzt auf die Kalligrafin Eveline Petersen-Gröger, wie seine drei Vorgänger auch. „Vermutlich bin ich hier im Umkreis die einzige Kalligrafin. In Hamburg dagegen gibt es mindestens sechs oder sieben. Aber längst nicht jeder Kalligraf ist bereit, in ein Buch zu schreiben“, weiß die Vahrendorferin. Denn anders als in Briefen oder auf Umschlägen ist in einem gebundenen Werk nichts zu korrigieren.

Zwei volle Tage benötigt Eveline, um das Vermächtnis eines Gildemonarchen zu verewigen. Um einen optisch perfekten Eindruck zu erzielen, bedarf es zuerst einer ausgewogenen Blatteinteilung. Sie skizziert das Werk, schreibt und malt auf einem gesonderten Papier vor, bevor sie den Entwurf ins Buch überträgt, Buchstabe für Buchstabe mit der Spitzfeder.

Anders als die pompöse Fraktur-Schrift mancher Vorgänger sind ihre Lettern schnörkellos. Die Form mutet vergleichsweise modern an und ist doch uralt. Schon um 200 vor Christus ritzten die Römer auf diese Weise ihre Botschaften in Stein. „Lapidar Antiqua“ heißt der Schrift-Typus in Anlehnung an das lateinische Wort Lapis, das Stein bedeutet.

„Ich habe mich mit meinem ersten Gilde-Kunden, Frank Kirste, auf die Schrift und die Farben Schilfgrün und Rot geeinigt“, sagt Eveline und blättert behutsam im Buch. Anhand der Schrift und Maltechnik kann sie die Arbeit der verschiedenen Kalligrafen unterscheiden, die im Laufe von sechs Jahrzehnten am Werk waren. Ästhetik sei Ausdruck der Persönlichkeit, findet sie. Briefe schreibt sie deshalb grundsätzlich mit der Hand, beruflich wie privat.

Schrift hat die gelernte Pharmazeutisch technische Angestellte schon immer fasziniert. Dass sie ihre Passion schließlich zum Beruf machte, war dennoch eher Zufall. In einer Frauenzeitschrift hatte sie Mitte der 90er-Jahre von einem kreativen Seminar des bekannten Schweizer Kalligrafen Andreas Schenk gelesen. Sie war ins Kloster am Luganer See gereist und beglückt in der Welt der Buchstaben versunken. Solchermaßen inspiriert, studierte die Mutter zweier Söhne als Gasthörerin neun Semester Kalligrafie an der Fachhochschule Hildesheim. Inzwischen gibt die 55-Jährige selbst Unterricht. An der Kunstschule Wandsbek führt sie angehende Kommunikationsdesigner in die Kalligrafie ein. Sie gehört der Schriftgruppe „Lettera“ an, beteiligt sich an Kunst-Projekten und widmet sich dem internationalen Kulturdialog, zuletzt in Teheran.

Zu ihrem Lebensunterhalt trägt die Gestaltung exklusiver Einladungskarten und Briefumschläge bei. Für besondere gesellschaftliche Ereignisse verfasst sie oft Anschreiben an mehrere hundert Personen, darunter viele VIPs von Rang und Namen. Wieder und wieder hat sie dann die gleichen Zeilen auf Bütten zu bringen, manchmal Tage lang. Keine besonders kreative Aufgabe. Sie aber empfindet das Schreiben als wohltuend meditativ.

Der Eintrag ins Goldene Buch der Gilde bedeutet eine reizvolle Konzentrationsübung. „Die Zeichnung des Königsschilds ist für mich stets die größte Herausforderung.“