Winsener MS-Kontaktgruppe ist seit 20 Jahren ein Treffpunkt für Menschen, die sich gegenseitig helfen. Auch in Buchholz gibt es einen Kreis

Winsen . Früher ist Uwe Ravens zuweilen über seinen Schreibtisch gesprungen, anstatt darum herum zu gehen. Um Zeit zu sparen. Der Sparkassen-Angestellte stand beruflich ständig unter Druck. Heute, als Rentner, hat er manchmal mehr Muße, als ihm lieb ist. Und über Hindernisse hüpft er schon lange nicht mehr. Manchmal geht der 64-Jährige spazieren. An guten Tagen schafft er gerade mal 500 Meter. An schlechten schlurft er mit Mühe durchs Haus.

Uwe Ravens ist krank. Er leidet unter Multipler Sklerose. Er erinnert sich noch genau an den Tag, als er die Diagnose bekam. Es war ein Freitag im Jahr 2007. Sie habe eine gute und eine schlechte Nachricht, sagte die Ärztin im Krankenhaus. „Die gute: Sie werden heute entlassen. Die schlechte: Sie haben MS.“

Multiple Sklerose ist unheilbar. Eine entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems, bei der in Gehirn und Rückenmark zahlreiche (multiple) Krankheitsherde entstehen. Die Zerstörung und anschließende Verhärtung (Sklerose) der Hüllen der Nervenfasern zieht vielfältige, unterschiedliche Nervenfunktionsstörungen nach sich. Lähmungen, Seh- oder Sprachstörungen, Gefühls- und Koordinationsstörungen.

Man kann Jahrzehnte überleben oder binnen weniger Monate sterben. Ein unabwendbares, ungewisses Schicksal, das Uwe Ravens glaubte, nicht ertragen zu können. Er erwog, sich umzubringen. „Den Baum, gegen den ich fahren wollte, hatte ich mir schon ausgesucht“, erinnert er sich an seine anfängliche Verzweiflung.

Regina Evers-Behrend hat die erste Zeit nach ihrer MS-Diagnose vor acht Jahren ganz anders erlebt. „Für mich war es wie eine Befreiung. Endlich gab es eine greifbare Ursache für meine Symptome, für das Kribbeln, die Taubheitsgefühle, die extremen Erschöpfungszustände. Endlich hatte meine Krankheit einen Namen“, erzählt die 43-Jährige. So unterschiedlich wie die Reaktionen der Betroffenen sind die Ausprägungen und Verläufe der Krankheit. Während Uwe Ravens inzwischen deutlich in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist, sieht man Regina Evers-Behrend nichts an. Denn im Gegensatz zum Roydorfer, der an der schleichenden, der progressiven Form (PPMS) leidet, hat die Salzhausenerin die schubweise Variante (RRMS). Bei ihr gehen die Symptome nach jedem Schub durch Cortison-Stoßtherapie fast gänzlich wieder zurück – jedenfalls bisher.

Ravens und Evers-Behrend kennen sich von der MS-Kontaktgruppe Winsen. Sie ist ein Selbsthilfekreis, der bereits seit 20 Jahren besteht. Der Wunsch, sich mit Leidensgenossen auszutauschen, Tipps zu geben, Trost zu spenden, eint Männer und Frauen, Junge und Alte, Kranke und Angehörige. „Auch wenn die Familienmitglieder selbst gesund sind, sind sie doch auch Betroffene. „Die Erkenntnis, dass es anderen genauso geht, ist immens wichtig“, sagt Uwe Ravens Frau Karin, die die Gruppe inzwischen leitet. Die monatlichen Treffen im rollstuhlgerechten Clubraum der Winsener Stadthalle stehen unter dem Motto „Gemeinsam schaffen wir es“.

Ein Patentrezept gibt es nicht. „Jeder muss letztlich seinen eigenen Weg finden“, sagt Barbara Neuß, die schon vor elf Jahren erkrankte, aber trotz dreier schwerer Schübe und langwieriger Rehabilitation noch einen Teilzeitjob und den Haushalt bewältigen kann.

Uwe Ravens vermag seine stetig zunehmenden Symptome nur geringfügig mit Tabletten gegen Schmerzen und Spasmen zu lindern. Er hat sich damit abgefunden, über kurz oder lang im Rollstuhl zu sitzen. Den ersten Schritt in diese Richtung hat er unlängst getan und sich einen batteriebetriebenen „Travel-Scoot“ gekauft. Die Mobilität, die der leichte, klappbare Mini-Rollstuhl bietet, genießen Uwe und Karin Ravens gleichermaßen. Sogar eine Kreuzfahrt haben sie dank Reise-Rolli unternehmen können.

Auch die Winsener MS-Gruppe wird gemeinsam auf Tour gehen: Im Sommer ist im behindertengerechten Bus ein dreitägiger Ausflug nach Dresden geplant. „Wir haben Spaß, die Gruppe lebt“, freut sich Karin Ravens. Es gibt neben den regulären Zusammenkünften den Frauenfrühstückstreff, einen Mal- und einen Chorworkshop. Und die Gruppe hat Unterstützer. Seit kurzer Zeit gibt es einen ehrenamtlichen Helfer. Alljährlich starten Läufer, Radler und Skater zum Winsener „Run for help“. Die Startgelder kommen der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) zugute, unter deren Dach die MS-Kontaktgruppen arbeiten. Im Landkreis Harburg hat neben Winsen auch Buchholz eine Selbsthilfegruppe. „Stressvermeidung ist enorm wichtig“, sagt Uwe Ravens. Oft fährt er im neuen Minirollstuhl zum nahe gelegenen Teich und schaut über das Gewässer.. „Ich sehe, wie die Sonne auf der Oberfläche glitzert, beobachte den Fischreiher, der am Ufer auf Beute lauert, höre die Vögel in den Bäumen singen. Früher habe ich das alles nicht wahrgenommen. Heute kann ich das Schöne im Leben intensiver genießen.“

Auskunft zur Winsener MS Kontaktgruppe erteilen Karin und Uwe Ravens unter Telefon 04171/600269 oder Regina Evers-Behrend unter Telefon 04172/ 6839. Die Buchholzer MS-Gruppe vertreten Katharina Jäger, Telefon 04181/283651, und Birgit Justus, Telefon 04105/152079