Mit Fleiß und Können 380 Jahre altes Hallenhaus gerettet. Verein Bäuerliches Hauswesen bewahrt historisches Erbe

Bliedersdorf. Der Verein „Bäuerliches Hauswesen“ in Bliedersdorf, Samtgemeinde Horneburg, sorgt mit einem geschichtsträchtigen Großprojekt für Aufsehen: Mit Fleiß und meisterlichem Können haben die aktiven Mitglieder ihren langgehegten Traum verwirklicht und ein 380 Jahre altes, komplett zerlegtes „Niederdeutsches Hallenhaus“ aus Hagen-Börsten im Landkreis Cuxhaven, auf ihrem Vereinsgelände an der Dohrenstraße wieder aufgebaut. Im Fachjargon heißt das erfolgreiches Translozieren.

Nun wurde das mit Reet gedeckte, mit viel Liebe zum Detail und handwerklichem Geschick originalgetreu wieder errichtete Kleinbauernhaus feierlich eingeweiht. Es bereichert als neues Hauptgebäude das historische Ensemble der vier bäuerlichen Nebengebäude des Vereins, in denen seit Jahren reges kulturelles Leben pulsiert.

„Historische Häuser vor dem Verfall zu retten, ist eine lohnende Aufgabe“, sagt der Vereinsvorsitzende und Initiator Rainer Kröger. „Wenn ein solches Rettungs-Projekt nicht am ursprünglichen Standort möglich ist, macht der Wiederaufbau an einem anderen Ort, in jedem Fall Sinn.“ Gisela Schwertfeger, die ehemalige Bürgermeisterin von Hagen hatte dem Vereinsvorsitzenden das neun Meter breite und 21 Meter lange Haus 2003 zum symbolischen Preis von 1.000 Euro überlassen.

Das in Einzelteile zerlegte klassische „Niederdeutsche Hallenhaus“, ein Kleinbauernhaus aus dem Jahr 1635, war mehr als ein Jahrzehnt eingelagert, zuletzt in der Nottensdorfer Zimmerei von Dierk Heins, bis alle finanziellen und bautechnischen Hürden für den Wiederaufbau genommen waren. Mit Enthusiasmus machten sich besonders aktive Vereinsmitglieder an die Restaurierung dieses Kulturerbes. Stück für Stück wurden Ständer, Kopfbänder, Riegel, Schweller, Rähm, Decken- und Kehlbalken und Sparren durchgesehen und, wenn erforderlich, mit historischen Materialien repariert und ergänzt. Notwendiges Baumaterial bargen die Männer aus drei historischen Abbruchhäusern. Allerdings erfordert ein solches Projekt neben Fleiß, Herzblut, handwerklichem Können und historischem Wissen auch eine Menge Geld. Deshalb griffen Kröger und seine Mitstreiter eine Hamburger Idee auf, die maßgeblich zur Restaurierung des „Hamburger Michel“ beigetragen hatte. Nach diesem Vorbild trugen sie unermüdlich Sachspenden zusammen, die bei Auktionsfesten gegen bare Münze unter den Hammer kamen, organisierten Kunst- und Kulturveranstaltungen und gewannen Spender und Sponsoren für ihr Großprojekt.

Zwölf Gründungsmitglieder hoben den Bliedersdorfer Verein im Jahr 2000 aus der Taufe. Heute gehören zur großen „Vereinsfamilie“ 210 Mitglieder, von denen zehn Männer besonders engagiert an den Wiederaufbau des historischen Gebäudes gingen. Für ihren ausdauernden Einsatz und unzählige Arbeitsstunden wurden sie bereits mit der Niedersächsischen Ehrenamtskarte ausgezeichnet. Fachliche Unterstützung für den Wiederaufbau bekamen sie vom Horneburger Architekten Jens Wilke. Zudem wurde ein Förderantrag in sechsstelliger Höhe bewilligt, ohne den das Unterfangen nicht zu stemmen gewesen wäre.

Voraussetzung war der Kauf des notwendigen 3.500 Quadratmeter großen Grundstücks direkt neben dem Vereinsgelände. Der Verein bezahlte dafür rund 60.000 Euro. Die Fördersumme von 190.000 Euro wurde mit 104.000 Euro aus dem Leader-Topf der EU, jeweils 30.000 Euro von der Gemeinde Bliedersdorf und der Samtgemeinde Horneburg sowie 26.000 Euro vom Verein Bäuerliches Hauswesen getragen. Rund 45.000 Euro kamen von Spendern und Sponsoren.

„Ich bin Optimist und fest überzeugt, dass wir das Hallenhaus realisieren können“, sagte Kröger 2012 und der beharrliche „Macher“ behielt recht. In Handarbeit wurden alle Holzteile „abgenagelt“, wie das Zusammensetzen und „Verzapfen“ der Balken genannt wird. Mehr als 650 Holznägel schnitzten die Männer. Mit einem Zieheisen schälten sie für die Dachsparren 170 frisch gefällte Bäume, zwischen acht und 13 Metern Länge. Vier fleißige Jugendliche der Stader Jugendbauhütte halfen den Hobbybaumeistern. Da es sich um ein Kleinbauernhaus handelt, ist das Ständerwerk aus natürlich gewachsenen Baumstämmen gezimmert, was zwar seinen besonderen optischen Reiz ausmacht, aber den Wiederaufbau zur echten bautechnischen Herausforderung werden ließ. Die Männer vom „Bäuerlichen Hauswesen“ nutzten ihre Erfahrungen mit solchen Projekten, die sie mit dem historischen Schafstall, einer Durchfahrtsscheune, einem Backhaus und einer Schmiede bereits erfolgreich verwirklicht hatten.

Die „Interessengemeinschaft Bauernhaus“ (IGB) verlieh dem Verein bereits 2004 eine besondere Auszeichnung „für die Errichtung eines mustergültigen Dorfparks mit alten Gebäuden“. Damit werden Persönlichkeiten oder Gruppen geehrt, die in herausragender Weise zur Erhaltung des kulturellen Erbes und der historischen Bausubstanz im ländlichen Raum beigetragen haben.

Besonders stolz sind die Vereinsmitglieder darauf, dass ihre wiedererrichteten Gebäude Schafstall und Backhaus vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege 2006 jeweils als Einzelbaudenkmale im Verzeichnis der Kultur- und Baudenkmale aufgenommen wurden. „Solche Werte möchten wir erhalten, für spätere Generationen erlebbar machen und mit gemeinschaftlichem Leben erfüllen“, sagt Kröger.

Wer das neue Ensemble des Vereins mit Hausrat und Arbeitsgeräten aus Urgroßmutters Zeiten und seinem herrlichen Bauerngarten sehen und erleben möchte, hat am Himmelfahrtstag, 29. Mai, eine schöne Gelegenheit. Bei Old-Time-Jazz mit den „Hedgehog Stompers“ aus Buxtehude ist von 12 bis 15 Uhr der erste Kulturtermin angesagt.

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