Gabriele Schwedewsky aus Hittfeld hat 50 Geschichten in ihrem Kopf abgespeichert. Dahinter steckt harte Arbeit und eine außergewöhnliche Ausbildung

Hittfeld/Karoxbostel. Märchen werden manchmal wahr. Schon als kleines Mädchen wusste Gabriele Schwedewsky genau, was sie wollte. Prinzessin sein. Oder Fee. Oder Hexe. Die drei Wünsche haben sich erfüllt. Als professionelle Erzählerin taucht sie ein ins Reich der Fantasie und nimmt ihr Publikum mit in die sagenhafte Welt historischer Märchenerzähler und moderner Geschichtenschreiber. Sie berichtet von Rotkäppchens Erlebnissen nach dem Abenteuer in Bauch des Wolfes. Von der Prinzessin auf dem Kürbis, die so viel strapazierfähiger ist als die Schwester auf der Erbse. Und vom armen Krebs, der am Ende doch glücklich wurde.

Buchstäblich mit Haut und Haaren schlüpft sie in die Rolle der Scheherazade. Goldstaub auf dem Dekolleté, Glitzer auf den Lidern, funkelnder Schmuck an Hals und Ohren, Federn in den Locken und am schlanken Leib Kleider, einer Königstochter würdig. 1001 Nächte lang hat Gabriele schon erfolgreich Stroh zu Gold gesponnen, mindestens. Seit mittlerweile zwölf Jahren bezaubert sie mit der Kunst der Imagination. Männer, Frauen und Kinder genießen es gleichermaßen, vom Klang ihrer Stimme, der lebhaften Mimik und Gestik eingehüllt zu werden in einen vor der schnöden Realität schützenden Kokon. Jung und Alt lieben es, sich kurzzeitig in eine leicht verständliche Welt entführen zu lassen. Gut und Böse sind klar getrennt, jeder Weg führt an ein Ziel und das Happy End ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

„Die Sehnsucht nach Märchen ist groß, auch und gerade heute“, weiß Gabriele Schwedewsky. Sie hat schon in Schulen und Kindergärten erzählt und in der Adventszeit auf den Märchenschiffen am Jungfernstieg. Sie wird für Betriebsfeiern, Jubiläen und Hochzeiten engagiert, für die Nacht der Museen und die Nacht der Kirchen verpflichtet, zu Bundesgartenschauen eingeladen. Sogar bei der Präsentation einer neuen Schmuckkollektion hat sie schon für zauberhafte Stimmung gesorgt.

Das Fabulieren wirkt nicht nur unterhaltend. Es vermag auch Eis zu brechen. „Bei Tagungen fühle ich mich zuweilen wie der Rattenfänger von Hameln. Ich erzähle jedem Grüppchen eine andere Kurzgeschichte und die Schlange, die mir folgt, um auch die nächste Story mitzukriegen, wird immer länger. Dadurch mischt sich die Gesellschaft und die Gäste kommen zwanglos ins Gespräch“, beschreibt die gelernte Sozialpädagogin den gruppendynamischen Effekt. Schon als Mädchen hat mit sie Begeisterung Märchen gelesen und erzählt. Dem kleinen Bruder tischte sie mit Vorliebe Gruselgeschichten auf und auch an den eigenen drei Kindern hat sie sich geübt. „Ich liebe den träumerischen Geschichtsausdruck, das Lächeln auf den Gesichtern meiner Zuhörer.“ Eine fundierte Ausbildung als Erzählerin hat Gabriele aber erst absolviert, als der Nachwuchs schon groß war. Bevor sie das erste Mal vor Publikum auftrat, hatte sie ein Jahr lang von einer anderen professionellen Märchenerzählerin gelernt und sich zusätzlich durch Unterricht einer Schauspiel-Lehrerin und Stimmbildung einer Atemtherapeutin qualifiziert.

Etwa 50 Geschichten von 90 Sekunden bis 40 Minuten Dauer umfasst der Fundus in Gabrieles Kopf heute. Dahinter steckt harte Arbeit. Kontinuierlichen ist sie auf der Suche nach geeigneten Storys. Begeistert sie sich für ein Werk, wandelt sie den Lese- zum Erzähl-Text um und setzt individuelle Schwerpunkte. „Damit mache ich das Märchen zu meiner ganz persönlichen Geschichte.“ Dann folgt das Auswendiglernen. Bei zwei Stunden täglicher Übung braucht sie vier Monate, bis eine Zehn-Minuten-Geschichte zu ihrer eigenen Zufriedenheit sitzt. „Es dauert von Jahr zu Jahr länger, weil durch die wachsende Anzahl die Gefahr wächst, Namen zu verwechseln und Textteile mit einander zu mixen. Außerdem werde ich selbst immer anspruchsvoller. Ich bin Perfektionistin.“

Auch an ihr Publikum hat sie Erwartungen. Zwischenfragen sind jederzeit erlaubt, aber Unruhe duldet sie nicht. Es kommt nicht oft vor, dass ein Kind stört. Wenn aber doch, braucht sie nur mit ihrem „Feenfinger“ sacht über die Wange des Schwätzers zu streichen. Die sanfte Berührung mit dem mittelalterlichen, wie eine goldene Kralle anmutenden Ring lässt den Störenfried augenblicklich verstummen. Märchenhaft!

Am Freitag, 23. Mai, um 18.30 Uhr erzählt die Hittfelderin „Märchen von allerlei Wasser“ in der Wassermühle Karoxbostel. Eintritt kostenlos, Spenden für das Baudenkmal werden erbeten. Am 2. und 3. Juni, jeweils um 10.30 und 16 Uhr, präsentiert Gabriele Schwedewsky in Planten un Blomen auf der kleinen Theaterbühne Märchen für Kinder und Erwachsene.