Drama auf See: In einer Gewitterböe bricht ein Drahtseil der Vereinsyacht „Heide-Witzka“. Lazarettschiff eilt zu Hilfe. Stürmische Begrüßung bei Rückkehr im Yachthafen Finkenwerder

Buchholz/Finkenwerder. Es ist ein Abend großer Emotionen. Norbert Stein, 71, hat Mühe, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Von allen Seiten klopfen sie ihm die Schulter. Er wird umarmt, gedrückt und geküsst. Crew-Kollege Werner Seichter, 68, wird so stürmisch von seinen Enkelkindern begrüßt, dass er rücklings auf dem Steg landet. „Willkommen zurück“ brüllen die Mitglieder der Segelkameradschaft Buchholz der Schiffsbesatzung zu, als die Segler am Sonntagabend nach ihrer achtwöchigen Tour im Yachthafen Finkenwerder einlaufen. „Schönes Ding!“, ruft einer.

Schön? Die Crew kann froh sein, dass sie wieder heil von ihrem Törn zurück ist. Was sie am 8. April und in den Tagen darauf erlebt hat, klingt wie ein Krimi und wird sich bei Norbert Stein und seinen Seglerkameraden wohl für immer ins Hirn eingebrannt haben.

Die Heide-Witzka war auf flotter Fahrt Richtung Azoren unterwegs. Ein Wetter wie im Bilderbuch. Die Sonne schien. Der Wind kam aus der richtigen Richtung. „Alles war in Butter“, sagt Norbert Stein mit sonnengegerbtem Gesicht. Dann kurz vor Sonnenuntergang zog eine dunkle, dicke Wand auf. Der Wind legte auf über 30 bis 40 Knoten zu und drehte sich gleichzeitig. „Vorher hatten wir noch Windstärke drei, dann sieben bis acht“, sagt Norbert Stein. Die Crew versuchte das zu tun, was man in solchen Situationen macht: das Segel bergen. Doch keine Chance. Später stellten Norbert Stein und seine Crew-Kollegen fest, warum: In der Gewitterböe war das Drahtseil von der Mastspitze zum Bug gebrochen.

Das Segel schlug wild um sich. Dann noch der schreckliche Seegang. All das machte es fast unmöglich, die Yacht zu beherrschen. Zudem drohte der Mast herunterzukommen und hätte Crew-Mitglieder verletzen können. Nur die Leine des Segels hielt den Mast noch. Norbert Stein sah sich gezwungen, einen Seenot-Alarm auszulösen. Doch ein Einsatz der Seenot-Retter hätte die Aufgabe des Schiffes bedeutet. „Das wollten wir auf keinen Fall“, sagt der ehmalige Buchholzer Bürgermeister.

Also erst einmal Mast sichern. Bloß wie? Lena Bischoff-Stein, 21, Tochter von Norbert Stein, gelang es, indem sie auf dem Bauch nach vorne kroch und den Mast mit Hilfe einer anderen Leine befestigte. Größte Gefahr beseitigt. Die Segler entschieden, den Seenot-Alarm wieder zurückzunehmen. „So kritisch für Leib und Leben war es nicht mehr“, sagt Norbert Stein.

Blieb nur noch das wild um sich schlagende Segel. Nach drei Stunden war auch das gebändigt, indem Lena Bischoff-Stein und Wilfried Dreyer mit einer kreativen Wurftechnik eine Leine spiralförmig um das Segel banden. Sechs Stunden dauerte die ganze Aktion. „Da war erst einmal Ruhe“, sagt Norbert Stein.

Mit der Ruhe kamen die Gedanken, die Angst. Wie geht es nun weiter? Zwar konnte die Heide-Witzka wieder auf Kurs gehen, aber nur mit Maschinenkraft. Es war unmöglich zu segeln. Und die Yacht war 500 Meilen von den Azoren entfernt. Kein weiteres Schiff weit und breit. Dass der Sprit nicht bis zu den Azoren reichen konnte, war allen klar. Norbert Stein griff zum Satellitentelefon und informierte Jens Weidling, den Vorsitzenden der Segelkameradschaft Buchholz. Auch die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger wurde alarmiert sowie die MRCC Delgada, die Rettungsleitstelle auf den Azoren und Patenius, die Versicherung des Schiffes.

Das weltweite Rettungsnetz war aktiviert. Aber für die Crew der Heide-Witzka begann eine lange Zeit des Wartens, und für die Mitglieder der Segelkameradschaft Buchholz eine des Bangens. Wer konnte der Heide-Witzka helfen? Im Büro von Jens Weidling liefen alle Informationen zusammen, so dass die Angehörigen auf dem Laufenden gehalten wurden. Ein Beauftragter der Versicherung, der ein Büro auf den Azoren unterhält, übernahm die Koordination und schaltete auch Andreas Reinecke vom Skipperteam Schoenicke aus Hamburg ein. Die Skipper überfahren weltweit Yachten und sind regelmäßig auf dem Atlantik unterwegs.

Andreas Reinecke nahm Kontakt zu einen seiner Skipper auf, der gerade den Atlantik kreuzte. Siehe da. Der Skipper entdeckte ein spanisches Lazarettschiff auf seinem Radar. „Das war ein riesengroßer Zufall und großes Glück“, sagt Reinecke. Das Problem in derartigen Notsituationen ist laut Reinecke, dass in der zivilen Schifffahrt keiner den Überblick hat, wo genau welches Schiff auf dem Atlantik unterwegs ist, das in Seenot geratenen Menschen zur Hilfe eilen kann. Weil der Skipper von Schoenicke lediglich 25 Meilen vom spanischen Lazarettschiff entfernt war, hatte er es auf dem Radar und konnte den Spaniern die Position der Heide-Witzka durchgeben.

Endlich die erlösende Meldung am Donnerstagnachmittag, nach zwei Tagen in Seenot: Der Kapitän der Juan de la Cosa hatte seinen Kurs geändert und sie war auf dem Weg. „Erstmals leichte Entspannung bei uns“, schrieb Norbert Stein in sein Logbuch. Im Morgengrauen am Freitag erreichte die Juan de la Cosa das Schiff und brachte der Crew 250 Liter Diesel und einen Haufen Lebensmittel. „Sie war wie ein Schutzengel für uns“, sagt Norbert Stein. Die Techniker des Lazarettschiffs sicherten den Mast und so machte sich die Heide-Witzka in Begleitung der Juan de la Cosa auf den Weg Richtung Azoren.

Trotz des Dramas sagt Norbert Stein: „Die ganze Reise war schön.“ Ein einmaliges Erlebnis, das ihm keiner mehr nehmen könne. Selbst in der Notsituation habe jeder gewusst, was zu tun war. „Wir haben uns zusammengerauft und die Herausforderung angenommen“, sagt Norbert Stein. Und seine Frau Elisabeth Bischoff war froh, dass sie erst von der Tragödie erfuhr, als längst alles vorbei war.