Neun junge Konfliktschlichter kümmern sich ab 1. Juni um Jugendliche auf den Straßen in Neugraben

Neugraben. „Ey“, ruft ein Junge Ehsan Norozian zu, „wir haben gehört, du bist ein Cop geworden?“ Nein, der 24-Jährige aus Neuwiedenthal, der in der Jugendfreizeit-Lounge tätig ist, absolviert nach wie vor eine Ausbildung zum Erzieher und denkt nicht an einen Übertritt zur Polizei. Aber es hat sich bei den Jugendlichen im Quartier herumgesprochen, dass Ehsan Norozian ab dem 1. Juni als sogenannter Kiezläufer die Plätze in Neugraben aufsuchen wird, wo sie zu „chillen“ pflegen, wie es im Jugendjargon heißt. Andere würden „abhängen“ dazu sagen.

„Kiezläufer“ in Neugraben-Fischbek ist ein Projekt des Jugendhilfevereins In Via zur Vorbeugung gegen Gewalt und Drogenmissbrauch. Insgesamt neun junge Erwachsene aus Neugraben und dem benachbarten Neuwiedenthal, sieben Männer und zwei Frauen im Alter von 20 bis 27 Jahren, werden in den frühen Abendstunden das Gespräch mit Jugendlichen auf offener Straße suchen. Zu erkennen sind die Kiezläufer an ihrer einheitlichen Kleidung, marineblaue College-Jacken und Poloshirts, die sie am Donnerstag offiziell erhalten.

Die Idee: Junge Erwachsene, in der Nachbarschaft bekannt und respektiert, begegnen Jugendlichen auf Augenhöhe, um ihnen Alternativen zum herumlungern schmackhaft zu machen. Kiezläufer sind Zulieferer. Wenn die Jungen und Mädchen lamentieren, in Neugraben würde es ja doch nichts für sie geben, wird Ehsan Norozian ihnen Sportstätten, auf denen sie Fußball oder Streetball spielen können, die Freizeit-Lounge am S-Bahnhof Neugraben und andere Freizeittreffs zeigen.

Sitzbänke auf Spielplätzen, Ecken in Parkhäusern, Sitzgelegenheiten vor den Geschäften in der Neugrabener Bahnhofstraße oder die von weitem gut sichtbare öffentliche Uhr am S-Bahnhof sind beliebte Plätze, an denen sich Jugendliche in Neugraben versammeln. Die Wiese neben dem neu gebauten Bürger- und Gemeinschaftszentrum wird ein neuer Treffpunkt werden, wenn erst einmal Sitzbänke dort stehen. Wenn es laut wird, die Bierflasche kreist, ärgert das Anwohner. Bei diesen Streitigkeiten wollen die Kiezläufer schlichtend auftreten.

Pöbeleien ist Ahmet Baymaz gewöhnt. Der 20 Jahre alte Abiturient aus Neuwiedenthal war vier Jahre lang Fußballtrainer beim FTSV Altenwerder und wird heute als Schiedsrichter auf den Fußballfeldern Hamburgs regelmäßig zur Zielscheibe von Wutausbrüchen. Auch er hat sich in 40 Stunden zum Kiezläufer ausbilden lassen. Für diese Aufgabe solle man Selbstbewusstsein mitbringen und authentisch bleiben, erklärt er wichtige Eigenschaften.

Die Kiezläufer werden sich bei der Polizei in Neugraben vorstellen und später den Beamten Erfahrungen schildern – mehr nicht. „Wir Kiezläufer werden den Jugendlichen nicht die Joints wegnehmen, sondern sie über die Risiken des Cannabiskonsums aufklären“, sagt Ahmet Baymaz. Die Kiezläufer seien keine Hilfssheriffs der Polizei. Sie wollen zum Erfolg kommen, indem sie die Jugendlichen in ihrer Sprache ansprechen. Als Oberlehrer aufzutreten, sei da völlig falsch.

Ehsan Norozian beobachtet in seinem „Kiez“, dass deutlich mehr Jüngere als früher zum Joint greifen. „Das Haschisch-Problem bedrückt sie. Viele wollen gar nicht kiffen“, hat er Hoffnung, mit dem Aufzeigen von Alternativen helfen zu können. Die Kiezläufer weisen den Weg zu Beratungsstellen und wollen mit den Jugendlichen auf der Straße über die Berufswahl sprechen. Wenn nötig auch nach Verabredung in Einzelgesprächen: Jugendliche können die Kiezläufer auf dem Handy anrufen.

Der Begriff Kiez ist möglicherweise irreführend, meint er doch in Hamburg meinst das Vergnügungsviertel St. Pauli. Tatsächlich ist ein Kiez ein abgegrenztes Stadtquartier mit einem starken Zugehörigkeitsgefühl innerhalb der Bevölkerung. Kiezläufer traten zum ersten Mal in Berlin auf. Dort waren es einstige Straßenkids - nicht selten mit krimineller Vergangenheit. Ihren Erfolg hat später selbst die zunächst skeptische Polizei anerkannt. Heute existiert das Projekt in der Bundeshauptstadt nicht mehr.

In Hamburg gibt es Kiezläufer in Veddel, der Horner Geest und ab Juni in Neugraben-Fischbek. Bergedorf soll voraussichtlich folgen. Träger ist der Verein In Via Hamburg, ein Fachverband der Caritas. Das Institut für Konfliktaustragung und Mediation übernimmt in Hamburg einheitlich die Ausbildung. Im Gegensatz zu Berlin darf kein Kiezläufer ein schwebendes Strafverfahren haben.

Jeder Kiezläufer ist etwa an zwei bis drei Abenden in der Woche unterwegs. Er erhält 120 Euro Aufwandsentschädigung im Monat. Das Projekt in Neugraben läuft zunächst bis Jahresende und kostet insgesamt 37.000 Euro.