Der Politologe Markus Birzer referierte in Klecken über Chancen der Bürgerbeteiligung

Klecken. Thies Ockelmann, Bürgermeisterkandidat in der Gemeinde Rosengarten, hat sich das Thema Bürgerbeteiligung ganz weit oben auf die Agenda geschrieben. Um für die Idee zu werben, holte er mit Markus Birzer kürzlich einen Fachmann zu einem Vortrag ins Kleckener Gasthaus „Die Linde“. Markus Birzer plant und moderiert seit mehr als 20 Jahren Bürgerbeteiligungsverfahren. Aktuell betreut er die Stadtentwicklungsprojekte „Mitte Altona“ und „Buchholz 2030“ (ISEK). Im Gespräch mit dem Abendblatt verriet der Diplom-Politologe, was eine gelungene Bürgerbeteiligung ausmacht, wann sie sinnvoll ist und welche Risiken sie birgt.

Abendblatt:

Alle Welt redet von Bürgerbeteiligung. Was macht sie eigentlich aus?

Markus Birzer:

Von gelungener Bürgerbeteiligung kann man dann sprechen, wenn möglichst frühzeitig und umfassend alle betroffenen Interessengruppen bei grundlegenden Entscheidungen einbezogen werden. Dabei ist es wichtig, auf Augenhöhe zu arbeiten und alle Informationen offen zu legen. Der Bürger erhält die Gelegenheit, sich an Planungen zu beteiligen, mitzudenken, Ideen einzubringen, Alternativen abzuwägen. Die Entscheidung trifft am Ende aber die Politik. Bürgerbeteiligung hat im Übrigen nur wenig zu tun mit direkter Demokratie. Da sagt man als Bürger nur „Ja“ oder „Nein“. Kompromisslösungen sind dabei nicht möglich. Die beiden Begriffe werden leider häufig in einen Topf geworfen.

Welche Faktoren sind noch wichtig?

Markus Birzer:

Bürgerbeteiligung sollte verbindlich, dauerhaft, zielorientiert, transparent, mit gegenseitiger Wertschätzung und einer unabhängigen Moderation sein. Die Bürgerbeteiligung sollte klaren Regeln folgen. Sie sollte im Idealfall auch ergebnisoffen sein. Optimal ist, wenn der Ablauf eines Bürgerbeteiligungsverfahren schon mit den Bürgern geplant wird.

Welche Stärken hat die Bürgerbeteiligung?

Markus Birzer: Das Wissen der Bürger als Experten vor Ort fließt mit ein. Alle Argumente können dokumentiert und eingesehen werden. Die Akzeptanz von politischen Entscheidungen nimmt zu. Zeit und Kosten können eingespart werden. Die Bürgerverantwortung wird gestärkt, Bürgerbegehren vielleicht verhindert werden. Am Ende gewinnen im Idealfall alle Seiten: die Kommunen und die, die in ihr leben.

Und wann sollte sie ihrer Ansicht nach das erste „Mittel der Wahl“ sein?

Markus Birzer:

Immer dann, wenn Menschen von Entwicklungen in ihrem Umfeld betroffen sind. Mehr als 90 Prozent aller Bürgerbeteiligungsverfahren spielen sich daher im Bereich der Stadtentwicklung ab. Gängig sind dabei Fragen zur Zukunftsplanung, zum Erscheinungsbild oder zur sozialen Infrastruktur. Bürgerbeteiligung ist aber auch sinnvoll bei Konflikten zwischen Politik, Verwaltung und den Bürgern. Selbst kommunale Haushalte können mit Bürgerbeteiligung geplant werden. Meine langjährige Erfahrung jedenfalls ist, dass ein Plan mit Hilfe der Bürger am Ende häufig besser ist als das ursprüngliche Konzept.

Gibt es denn keinerlei Grenzen?

Markus Birzer:

Wenn überhaupt, dann nur sehr wenige. Sicherlich kann man nicht alle restlos zufriedenstellen. In einem Beteiligungsprozess gibt es auch immer wieder Verlierer, die ihre Interessen nicht genügend berücksichtigt sehen. Dafür bietet diese Methode gleichzeitig aber auch die Chance, über Kompensationsmaßnahmen zu verhandeln, die einen Ausgleich schaffen.

Und wie sieht es mit Risiken aus?

Markus Birzer:

Die gibt es. Zum Beispiel Frust und Resignation, wenn am Ende eines Prozesses die Vorschläge, Anregungen und Wünsche der Bürger nicht berücksichtigt werden. Falls doch triftige Gründe gegen eine Umsetzung sprechen, müssen diese schnell und verständlich besprochen werden.

Viele Kommunen machen erst jetzt erste Gehversuche in Sachen Bürgerbeteiligung. Dabei gibt es das Instrument schon sehr viel länger. Warum ist das so?

Markus Birzer:

Manche Kommunen scheuen sich noch, weil sie ihren Bürgern zu wenig zutrauen oder sie befürchten, dass zu viel gefordert wird. Dabei gehen die Bürger mit Haushaltsgeldern oftmals viel vernünftiger und umsichtiger um, als ihre gewählten Volksvertreter. Sie fangen nicht auf einmal an, ein komplettes Wunschkonzert abzuspielen. Ich bin mir sicher, wenn die Hamburger beim Bau der Elbphilharmonie von Anfang an beteiligt gewesen wären, hätten sich die Dinge anders entwickelt. Dann wäre es vielleicht nie zu dieser Kostenexplosion gekommen.

Immer weniger Menschen gehen wählen, es herrscht Politiker- und Parteienverdrossenheit. Hat das der Bürgerbeteiligung zusätzlichen Aufwind verliehen?

Markus Birzer:

Schwer zu sagen. Sicher ist, dass der Wunsch nach stärkerer Einbeziehung bei politischen Entscheidungen in der Bevölkerung da ist. Das zeigen auch aktuelle Untersuchungen. Es ist aber leider immer noch so, dass eher diejenigen kommen, die negativ von Entwicklungen betroffen sind. Beispielsweise, wenn direkt vor ihrer Haustür ein neues Wohnviertel entstehen soll. Dann spricht man vom NIMBY-Protest (Not in my backyard/Nicht in meinem Garten).

Und wann sprechen Sie von einer erfolgreichen Bürgerbeteiligung?

Markus Birzer:

Wenn am Ende alle zufrieden sind.