Wenn die Kunst zum Besucher geht. Bis zu 40.000 Kunden des Phoenix-Centers sehen das Plüschtier täglich. Das kann keine Galerie leisten

Harburg. Wer das Phoenix-Center durch die Drehtür an der Bahnhofseite betritt, dem baumelt ein Plüschfaultier vor der Nase, das sich frech an einem überdimensionalen, goldenen Mercedes-Stern klammert. Auch ein halboffenes Caravan-Modell dreht sich im Takt des Portals. Was den Menschen als Deko erscheint, ist tatsächlich ein Kunstobjekt, das den Ausstellungsraum im 200 Meter entfernten Kunstverein Harburger Bahnhof verlassen hat.

Der Hamburger Künstler Jochen Weber entwickelt mit seinen Arbeiten eine Werbeästhetik, dass sie den Besuchern des Einkaufszentrums nicht als Kunst auffallen. Mit der Erlaubnis, die Drehtür des Einkaufszentrums vorübergehend als Galerie nutzen zu dürfen, ist dem Kunstverein Harburger Bahnhof ein Coup gelungen, der dem Künstler ein nie erreichtes Massenpublikum beschert: 30.000 bis 40.000 Menschen besuchen täglich das Phoenix-Center. Etwa 15.000 dürften das Hauptportal nutzen und dabei unbewusst auf Kunst stoßen.

Jochen Weber schätzt die Vorstellung, seine Skulptur in eine Öffentlichkeit zu tragen, die sich sonst nie in ein Ausstellungshaus verirren würde. Die Drehtür als die Menschen verblüffender Ausstellungsort hat für sein Kunstobjekt aber noch eine andere Bedeutung: „Um produktiv zu sein, muss man sich bewegen“, sagt Jochen Weber. Die Drehtür symbolisiere diese Erkenntnis. Und aus dem Thema Bewegung erschließt sich auch die Idee der Skulptur, die nur Bote eines viel größeren Projektes ist, das sich grundsätzlich mit dem Leben eines Künstlers und den Bedingungen im Kunstbetrieb auseinandersetzt. Künstler leben meist von Stipendien. In der Regel sind sie mit der Auflage verbunden, für die Dauer der Förderung in einer Stadt anwesend zu sein und in einem einzigen Atelier zu arbeiten. Jochen Weber hält ein Stipendium für überfällig, das dem Künstler das Verweilen in mehreren Städten oder auch Ländern ermöglicht. Einen Namen hat er auch schon dafür: Vagabund. Seine Idee ist es, ein Wohnmobil zu schaffen, mit dem der Stipendiat in produktiver Bewegung bleiben kann.

Mit seiner Skulptur im Phoenix-Center wirbt Jochen Weber mit dem Deckmantel der Kunst für die Stipendium-Idee. Der Mercedes-Stern, den er aus Holz modelliert hat, steht für den Wunschsponsor. Die goldene Farbe schmeichelt dem Autobauer und entspricht seinem Luxus-Image. Dass der Künstler dem weltweit geschätzten Markenzeichen ausgerechnet ein Faultier, das bekanntlich nicht den besten Ruf genießt, hinzufügt, erscheint nur auf dem ersten Blick als provokante Kombination. Das Faultier habe zu Unrecht ein schlechtes Image. „Faulheit ist eine der höchsten kulturellen Errungenschaften“, erklärt Jochen Weber, warum der Edelkarossenbauer und das verachtete Tier zueinander passen. Faulheit sei in Wahrheit der Luxus in einer von Zeitdruck drangsalierten Gesellschaft, den man sich leisten können müsse.

Jochen Webers große Kunst ist es, dass seine Objekte nicht sofort als künstlerische Arbeiten erkennbar sind. Ihn interessiere die Nutzbarkeit seiner Skulpturen. Als Designer sieht er sich nicht. Er habe in Düsseldorf freie Kunst studiert und sei Künstler, sagt er. Punkt aus. Und so bleibt auch das funktionale Klappbett mit Minibar im Büro der neuen Kuratorin des Kunstvereins Harburger Bahnhof, Anna Sabrina Schmid, ein Kunstobjekt und Teil der aktuellen Ausstellung. Das Bett, das sich mühelos in eine Sitzbank verwandeln lässt, soll später Teil der Innenausstattung in dem Stipendiaten-Bus sein.

Jochen Weber ist einer von insgesamt zehn Stipendiaten der Kulturbehörde, die noch bis zum 4. Mai ihre Arbeiten im Kunstverein Harburger Bahnhof zeigen. Seit 1981 vergibt die Kulturbehörde jedes Jahr zehn Arbeitsstipendien für Bildende Kunst an in Hamburg lebende Künstler. Wie ein Objekt in verschiedenen kulturellen Räumen einmal den Kunststatus erlangen und woanders wieder verlieren kann, zeigt die zu einer Sänfte umfunktionierte Sonnenbank von Björn Beneditz. Die im grellen Disco-Licht leuchtende Bräunungsapparatur dient normalerweise als Requisite bei der exzentrischen Show der Hamburger HipHop-Band Deichkind: Ist das Kunst oder kann das auf die Bühne?

Die Abschlussausstellung der Hamburger Arbeitsstipendiaten für Bildende Kunst ist auch am Sonnabend, 12. April, im Kunstverein Harburger Bahnhof bei der Langen Nacht der Museen zu sehen. Und weil die Kuratorin Anna Sabrina Schmid davon abrät, Kunst nach Mitternacht zu betrachten, hat sie die DJane Dependance eingeladen, das Publikum in die Nacht zu wiegen.

Ausstellung Hamburger Arbeitsstipendium für Bildende Kunst, bis 4. Mai, Kunstverein Harburger Bahnhof, Mi – So 14 bis 18 Uhr.