Heidrun Schröter-Saurer bringt mit ihrem Café Winzig urbanes Flair nach Stelle. Davon leben kann sie allerdings nicht

Stelle. Manche Leute gehen nach Feierabend ins Kino oder zum Angeln, Heidrun Schröter-Saurer hingegen schnürt sich die Küchenschürze um und stellt sich hinter den Tresen. Die 56-Jährige ist seit knapp anderthalb Jahren Inhaberin des Café Winzig in Stelle, einem Kleinod an der Harburger Straße, das mit einer Mischung aus Kulturzentrum, Kunstraum und Kaffeestube ungewöhnlich urbanes Flair ins Dorf bringt. Sie habe schon immer von einem eigenen Café geträumt, sagt die Mutter zweier erwachsener Töchter. Als dann zwei Cafés im Ort zumachten, war für die Powerfrau mit den pechschwarzen Haaren schnell klar, dass ihre Stunde gekommen ist.

„Es gab hier ja sonst nichts, wo man sich nachmittags gemütlich hinsetzen kann“, findet sie. Die Supermarkt-Backstube mit Stehtischen ist für den netten Klönschnack unter Damen ja nicht unbedingt die erste Adresse. Heidrun Schröter-Saurer wagte es also, diese Lücke zu füllen und öffnete am 11. November 2012 ihr Winzig, das, wie der Name andeutet, in seinem Konzept auf Urigkeit und persönlichen Kontakt zum Kunden setzt. Die Chefin ist präsent und kennt als Stellerin fast jeden persönlich. „Alles okay?“, fragt sie an jedem Tisch regelmäßig nach. Auch die Kunden untereinander kommen bei ihr schnell ins Gespräch, ein Mann habe zum Beispiel eine Tanzpartnerin bei ihr kennengelernt, erzählt sie. „Weiter wachsen will ich gar nicht.“

Abgesehen davon, dass ein größeres Lokal auch weitaus mehr Kosten nach sich ziehen würde. Heidrun Schröter-Saurer ist vorsichtig. Sie hat ihre Vollzeitstelle beim Landkreis Harburg, wo sie seit 41 Jahren als Sachbearbeiterin in der Abfallwirtschaft arbeitet, keineswegs gekündigt. Das Café ist ihr Hobby für nebenher, obwohl sie mittlerweile die Summe in Höhe eines Kleinwagens in dieses Hobby investiert hat. Ende dieses Jahres will sie deshalb einen Strich ziehen und bilanzieren, ob sich das Café rentiert oder nicht. Dass sie eines Tages komplett davon leben kann, hält sie aber für illusorisch. Dafür ist Stelle wohl doch zu sehr ein Dorf, in dem jeder lieber zu Hause im Garten seinen eigenen Kuchen isst.

Für Doris Rostowski käme so etwas nicht in Frage. Die 57-Jährige ist erst im vergangenen Jahr in die Nachbarstadt Winsen gezogen und war auf der Suche nach neuen Kontakten. Im Stricktreff, den das Winzig jeden Mittwoch von 16 bis 18 Uhr anbietet, fand sie rasch Anschluss an andere handarbeitsliebende Frauen. Kontaktbörse Café – für die Frührentnerin etwas, das sie nicht mehr missen möchte. Zehn bis zwölf Frauen kommen mittlerweile regelmäßig zu der Strickrunde zusammen. Fast alle haben sich erst im Winzig kennengelernt und sprechen jetzt nicht nur über neue Muster und Geschenkideen für die Enkelkinder, sondern fahren auch gemeinsam zum Wolle-Einkauf nach Hamburg.

„Der Austausch ist einfach großartig“, sagt Katrin Arndt, 53. Ihre Mitstreiterin Uschi Hinrichs, 68, bietet im Café sogar ihre selbst gestalteten Ostereier feil. Zum Konzept gehört nämlich auch, dass alles im Winzig zu kaufen ist, „bis auf die Tische und Stühle“, wie Heidrun Schröter-Saurer sagt. Selbst genähte Täschchen sind ebenso zu finden wie Tassen und kleine Bücher. An den Wänden hängen Bilder von Mitgliedern des Vereins Kunstwerk Stelle, die alle zwei Monate durch neue ausgetauscht werden, und an den Abenden gibt es häufig Krimilesungen mit lokalen Autoren. Nur Konzerte kommen nicht in Frage – die Nachbarn sollen sich nicht belästigt fühlen.

Kein elitäres Kultur- oder Designercafé soll das Winzig sein, sondern ein Treffpunkt für jedermann. „Mein Traum ist es, wenn die Steller sagen: ,Ich habe ja mein Winzig’“, sagt die Inhaberin. Gleichwohl weiß sie, dass sie für die Zukunft ganz genau aufpassen muss, sich mit dem Betrieb weder persönlich noch finanziell zu übernehmen, wie es bei vielen anderen Gastronomen der Fall ist. Ihre Ferienwohnung an der Ostsee möchte sie in diesem Jahr zum Beispiel gern etwas häufiger sehen, als im vergangenen Jahr.

„Bisher ist das hier für mich positiver Stress, der mir nicht wehtut“, sagt sie. Doch sie will vorbeugen und setzt deshalb auf zwei Teilzeitkräfte, die bei Krankheit und im Urlaub einspringen oder ihr einen freien Tag am Donnerstag sichern können. „Da will ich mich um mein Enkelkind kümmern.“ Außerdem muss sie dafür sorgen, dass ihre Arbeit beim Landkreis nicht leidet. Dass ihr Mann Manfred häufig mit anpackt und manchmal auch die 27 und 30 Jahre alten Töchter, versteht sich unter Gastronomen fast schon von selbst.