Die „Weltenbrecher“ der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg reisen zum Theater-Festival am Bodensee

Lüneburg. Eigentlich dachten sie, viel aufregender als im vergangene Jahr könnte es nicht mehr werden. Doch es kam anders. Die elf Akteure der Theatergruppe „Weltenbrecher“ reisen so weit weg wie noch nie: zum größten europäischen Amateurtheater-Festival am Bodensee.

Sechs Frauen und fünf Männer bilden das Ensemble, sie alle haben eine Behinderung. Voriges Jahr haben sie ihr eigenes Stück „Wo der Pfeffer wächst“ bei den Theatertagen europäischer Kulturen in Paderborn gespielt, jetzt sind sie auf internationale Bühne eingeladen worden: am Sonnabend, 12. April, in Friedrichstadt.

„Wir sind voller Vorfreude und fühlen uns geschmeichelt, ausgesucht worden zu sein unter vielen hochkarätigen Bewerbern. Außerdem sind wir noch nie so weit gereist“, sagt Stefan Schliephake, Leiter des Ensembles.

Lebensträume von der eigenen Wohnung bis zum Job als Fußballmoderator stehen im Mittelpunkt der Collage. Mit Witz, Eigenironie und Bühnenpräsenz zeigen die Darsteller mit geistiger Behinderung, dass sie künstlerisch ernst zu nehmen sind. „Die Theaterbühne ist ein Medium, das die große Chance bietet, Barrieren im Kopf der Zuschauer abzubauen, die sich mangels der täglichen Auseinandersetzung mit Menschen mit Behinderung aufgebaut haben“, sagt Sozial- und Theaterpädagoge Schliephake.

Der Auftritt der „Weltenbrecher“ wirkt, das Publikum verändert seine Sehgewohnheiten, so die Erfahrung bei Aufführungen. „Die Zuschauer schauen hin und lachen, auch wenn sie in den ersten 15 Minuten immer etwas verkrampft sind, und gar nicht wissen, ob sie überhaupt lachen dürfen.“ Die „Weltenbrecher“ gibt es seit 2006. Im Alltag arbeiten die Schauspieler in der Montage, einer Verteilerküche, im Lager, in der Wäscherei, der Mechatronik und am Empfang der Lebenshilfe. Zweieinhalb Stunden pro Woche wird an Theaterstücken gearbeitet. „Das bringt den Darstellern riesige Anerkennung. Das Selbstwertgefühl der Gruppe und das Selbstbewusstsein jedes einzelnen Ensemblemitgliedes steigt mit jedem Auftritt“, sagt Schliephake.

Mit seiner Theatergruppe ist der Lüneburger mittlerweile zum Berater Inklusion im Vorstand des Bundes Deutscher Amateurtheater ernannt worden. „Wir haben bei den Theatertagen in Paderborn Neuland betreten. Das hat uns Türen geöffnet.“ Und das nächste Projekt nach dem Bodensee ist bereits in Planung: ein Tanztheater, umgesetzt mit einem Regisseur aus Kroatien. Der Titel steht schon fest: „RespACT“.