Neunjährige schaut TV beim Inhalieren. Sie hat Mukoviszidose. Nun vertritt sie Niedersachsen beim Kinder-Medien-Festival

Lüneburg. Mit dem Inhalieren hat alles angefangen. Jeden Morgen und jeden Abend muss Sophie sich ein Stück Kunststoff in den Mund schieben und Kochsalzlösung in ihre Lungen ziehen. Langweilig. Mutter Susanne erlaubt ihrer Tochter daher, dabei fernzusehen. Jetzt ist Sophie eine von 23 Kindern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in der Jury des Deutschen Kinder-Medien-Festivals im Mai.

„Mein Name ist Sophie, und morgen werde ich 9.“ So beginnt ihr Bewerbungsschreiben an die Festivalleitung – denn neun Jahre ist das Mindestalter, um Filme bewerten und Preise verleihen zu dürfen.

Goldener Spatz heißt das Projekt der gleichnamigen Deutschen Kindermedienstiftung, die Bundeszentrale für politische Bildung finanziert das Festival. Aus einer von den Fernsehanstalten vorausgewählten Reihe an Filmen und Fernsehbeiträgen wählen 23 Kinder zwischen neun und 13 Jahren in sechs Kategorien die besten aus – und verleihen den Filmproduzenten anschließend eigenhändig die „Goldenen Spatzen“ als Preise. 615 Mädchen und Jungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich bei der Festivalleitung beworben.

Sophie hat kräftige dunkelblonde Haare, die sich auf ihren Schultern zu locken beginnen, trägt ein schwarzes Shirt mit weißen Herzen drauf und eine Sweatjacke darüber. Der rechte Fuß steckt in einer grün-weiß geringelten Socke, der linke in einer blauen. Sophie hat ihren eigenen Kopf. Und Mama Susanne kann manchmal in ihn hineingucken.

Über den Film „Die Eiskönigin“ hat Sophie ihre Filmkritik geschrieben

Denn die stand eines Abends mit einem Stapel Papier vor ihrer Tochter und fragte die Kleine: „Na Sophiechen, möchtest du dich hier vielleicht bewerben?“ Sophie strahlt, wenn sie von dem Augenblick auf dem Sofa erzählt. „Ich hatte nämlich schon lange zu ihr hinübergeschielt, wenn im Fernsehen die Spots dafür liefen, habe mich aber nicht getraut zu fragen“, erzählt sie. Und Mama hat das Schielen natürlich bemerkt.

Über den Film „Die Eiskönigin“ hat Sophie ihre Bewerbungs-Filmkritik geschrieben. Die Drittklässlerin spielt Klavier und tanzt gern, aber besonders liegt ihr das Schreiben, immer wieder neue Geschichten entstehen erst im Kopf, dann in ihrem grünen Heft. „Ich mag es, dass es in dem Film viel Eis und Schnee gibt“, sagt sie. Die Sweatjacke liegt da längst ausgezogen auf der Sofalehne.

Sophie hat Mukoviszidose. Kinder mit der schleichenden Erbkrankheit schwitzen viel, denn der Körper ist permanent in Aktion. Zu viel Schleim liegt auf den Bronchien, der Lunge, dem Magen, dem Darm. Der Organismus kämpft dagegen an – und erhitzt.

Der Schleim ist es auch, warum Sophie jeden Morgen und jeden Abend inhalieren muss. Die Kochsalzlösung hilft dem Organismus, ihn von den Bronchien zu bekommen. Wie ein chronischer Husten fühlt sich das an.

Sophie ist mit den Gedanken nicht mehr im Schnee. „Soll ich mal ein Kreon holen?“, ruft sie in Richtung ihrer Mutter und ist schon halb auf dem Weg. Ein Kreon ist eine Kapsel, auf der einen Seite rot, der anderen durchsichtig. „Muko-Kinder haben keine Schere im Magen, um das Essen zu zerkleinern“, erklärt sie dem Gast. Ihnen fehlt das passende Enzym, Fett zu spalten – die Kapsel gehört für Sophie daher zu jeder Mahlzeit.

Jeder 20. Erwachsene trägt das defekte siebte Gen, treffen zwei rezessive Gene von Mutter und Vater zusammen, kommt das Kind mit der Krankheit zur Welt. Therapien und Medikamente können die Symptome zwar lindern, unheilbar ist Mukoviszidose aber immer noch. Die Lebenserwartung liegt bei unter 40 Jahren.

Sophie greift ihr Papier und liest weiter aus ihrer Filmkritik vor. „Außerdem mag ich es, dass es in dem Film um Geschwisterliebe geht. Denn mein Bruder lebt seit einem Jahr bei meinem Papa. Und ich hoffe ganz doll, dass mein Bruder und ich uns immer lieb haben werden, auch wenn wir uns manchmal streiten.“

Am 10. Mai bringt Mutter Susanne ihre Sophie zum Hauptbahnhof nach Hamburg, von dort geht es mit anderen Kindern aus dem Norden mit Betreuung nach Gera – und bis zur Preisverleihung am 16. Mai in Erfurt darf Sophie dann (fast) den ganzen Tag ihr Liebstes tun: fernsehen. Und schulfrei hat ihre Rektorin ihr auch schon gegeben.