Debatte um Flüchtlingslager Bostelbek in der Bezirksversammlung gerät zum Rundumschlag gegen das Bezirksamt

Harburg. Zwei Polizisten vor dem Rathaus, drei vor dem großen Festsaal im ersten Stock. Die Ankündigung der Bürgerinitiative Bostelbek (BIB), sich mit einer „öffentlichkeitswirksamen Aktion“ in der Bezirksversammlung Gehör zu verschaffen, verfehlte ihre Wirkung nicht. Mehr als 120 Siedler waren in den traditionellen Tagungsort der Harburger Volksvertreter geströmt. Des Aufmarsches der Ordnungshüter hätte es allerdings nicht bedurft. Trotz aller Brisanz rund um die Einrichtung einer weiteren Flüchtlingsunterkunft blieb alles im Rahmen.

Was aber nicht bedeutet, dass es für die Harburger SPD seit Dienstagabend leichter geworden wäre. Ganz im Gegenteil. Noch bevor sie ihre Sicht der Dinge erklären konnte, hatte die BIB das Wort. In der „Öffentlichen Fragestunde“ zum Auftakt geißelte deren Vertreterin Jasmin Garlipp das Beteiligungsverfahren der Bürger einmal mehr als völlig intransparente „Farce“. Viel schlimmer aber wiege, dass den Siedlern mit der Einleitung eines Plangenehmigungsverfahrens de facto alle Chancen genommen seien, sich gegen den Bau des Containerdorfes mit zehn zweigeschossigen Pavillonbauten zur Wehr zu setzen. Anschließend wurde SPD-Fraktionschef Jürgen Heimath ein transparenter Plastikeimer überreicht, gefüllt mit „verlorenen“ Wählerstimmen. Jasmin Garlipp: „Die Quittung wird es am 25. Mai geben, in Bostelbek wird niemand mehr SPD wählen, versprochen.“

Diese Drohung hing bleischwer im Raum, als Heimath anschließend ans Rednerpult trat. Und zu einem fast historisch zu nennenden Rundumschlag ausholte. Ja, die Fraktion, die gesamte Bezirksversammlung, habe an Glaubwürdigkeit verloren. Weil über die Pläne für das Camp Am Radeland zu spät und falsch informiert worden sei. Doch die Hauptschuldigen säßen nicht in der Bezirksversammlung, sondern in der Hamburger Sozialbehörde BASFI und im Bezirksamt Harburg.

Es sei doch erstaunlich, wie ahnungslos sich Verwaltungschef Thomas Völsch lange gegeben habe. Und wie schlecht er offenbar mit seinem Baudezernenten Jörg Heinrich Penner kommuniziere. Der habe jedenfalls nachweislich schon lange vor den unrechtmäßigen Baumfällungen auf der Bostelbeker Pferdewiese von der geplanten Bebauung des Areals gewusst. „Verschweigen, vertuschen und Filz sind völlig inakzeptabel. Deshalb fordern wir jetzt vollständige Akteneinsicht um jene Transparenz herzustellen, die die Bürger bisher vermissen“, so Heimath.

Doch erst einmal in Fahrt ging der SPD-Fraktionschef noch weiter und forderte Penner offen zum Rücktritt auf. Dessen Verhalten in dieser Angelegenheit sei „skandalös“ und habe dieses Haus in große Probleme gestürzt. „Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit dürfte in Zukunft sehr schwierig werden, wenn nicht gar unmöglich sein“, so Jürgen Heimath.

Nach Ansicht von CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer stünden aber bei weitem nicht nur Völsch und Penner in der Kritik. Auch Sozialdezernent Holger Stuhlmann trage sicher Mitverantwortung. Dass Planungen für Flüchtlingsunterkünfte an seinem Ressort vorbeigingen, sei völlig undenkbar. „Deshalb ist es schäbig, hier nun den Baudezernenten als Bauernopfer zu präsentieren“, so Fischer. Dessen Einlassung kaum überraschen konnte: Während Penner ein Grüner ist, sind Völsch und Stuhlmann SPD-Mitglieder.

Der Bezirksamtsleiter ließ dann aber keinen Zweifel an seiner Loyalität gegenüber den engsten Mitarbeitern aufkommen. Nachdem er angesichts wachsender Flüchtlingsströme noch einmal ausdrücklich auf die Dringlichkeit der Suche nach geeigneten Flächen zur Unterbringung hingewiesen hatte, bedauerte er den Ablauf des Bostelbeker Verfahrens einmal mehr außerordentlich. „Doch dafür trage allein ich die Verantwortung“, so Völsch. Und erteilte so jedweden Rücktrittsforderungen eine Absage.

Eine emotionale Erklärung der Abgeordneten Dagmar Overbeck

Damit hatte sich die schwere See für die sozialdemokratische Fraktion an diesem Abend jedoch noch nicht beruhigt. Völlig überraschend trat dann Dagmar Overbeck mit einer persönlichen Erklärung vors Mikrofon. Unter Tränen schilderte die Abgeordnete aus dem Distrikt Heimfeld, zu dem auch Bostelbek gehört, ihre persönlichen Nöte mit dem Kommunikationsdesaster rund um die Einrichtung des Flüchtlingscamps Am Radeland.

Aus Loyalität hätte sie in den vergangenen Jahren vieles mitgetragen, immer auf der Suche nach Sinn und Nutzen. „Wir sind vom Bürger gewählt, um uns um ihre Belange zu kümmern, wir sind ihnen verpflichtet“, sagte die 39-Jährige. Stattdessen habe sie in den vergangenen Jahren hamburgweit erlebt, dass zumeist spontan gegründete Bürgerinitiativen für Bewegung und Diskussion sorgen würden. Wenn sie ihren Beitrag zu einer besseren Stadt nicht leisten könne, dann sei sie in der Politik falsch. Aus ihrer Sicht müsse man sich geschlossen gegen das Bostelbek-Verfahren stellen.

Dieses emotionale Statement kommt für die SPD Harburg zur Unzeit. Nach den Querelen um das Genehmigungsverfahren für das Platinum Event Center und den teilweise dubiosen Abstimmungen für die Kandidaten zur kommenden Bezirkswahl hat die Mehrheitsfraktion nun nicht einmal mehr ein einheitliches Votum zu Bostelbek hinbekommen. Denn außer dem Nein von Dagmar Overbeck gabe es auch noch zwei Enthaltungen.