Modedesignerin Janneke Hülsebus findet, dass wir eine neue Ausgehkultur brauchen

Wilhelmsburg . Eher eingepackt als gekleidet zeigt sich der Deutsche in der Fußgängerzone. Die imprägnierte Outdoorjacke und Jeans sind seine Uniform. Im Sommer rückt er wie ein Freeclimber in T-Shirt und Cargohose in die Innenstadt ein. Ungeniert zeigt er seine mit Hornhaut bedeckten Zehen in Flip-Flops und Gesundheitstretern. Bei einem Volksfest wie dem Hamburger Alstervergnügen begegnen Besucher den anderen Menschen so bekleidet, als befänden sie sich daheim beim Grillen im Garten.

Die Weigerung, sich stilvoll zu kleiden, macht auch vor einem Theaterbesuch nicht mehr halt. In Allwetterjacke und ausgefransten Jeans rauben auch ältere Hamburger mittlerweile dem festlichen Kuppelsaal des Schauspielhauses seinen Glanz. Die Hamburger Modedesignerin Janneke Hülsebus findet, dass es höchste Zeit für eine neue Ausgehkultur sei. Ihr Modelabel Powder mit Sitz in Wilhelmsburg steht für die Idee der kultivierten Begegnung im öffentlichen Raum.

Wenn Janneke Hülsebus bei einem Theaterbesuch die anderen Gäste um sich herum betrachtet, beschleicht sie nicht selten der Eindruck, dass die Chance zu einem magischen Abend leichtfertig vertan sei. Schuld daran ist der phlegmatische Pragmatismus bei der Auswahl der Abendgarderobe. „Wie schade“, denkt sie sich, „bei einem solchen Anlass hätte man sich auch anders zeigen können.“

Die junge Modeexpertin begrüßt es, wenn sich Frauen im Theater und selbst im Kino wieder im Kleid zeigen würden. Männer müssten nicht gleich zum Anzug greifen. Eine Stoffhose und ein passendes Hemd sollten es aber zumindest sein. Wenn Menschen sich zum Ausgehen wieder schöner kleiden, gewänne auch ein Kino- oder Restaurantbesuch an Bedeutung.

Janneke Hülsebus ist nicht allein mit ihrer Sehnsucht nach etwas mehr Stil im Alltag. Kolumnisten im Internet stellen auch in politischen Online-Magazinen die Stilfrage. Zu Beginn der Urlaubszeit thematisieren spanische Medien regelmäßig das Auftreten deutscher Touristen, die fern jeden Schamgefühls nicht einmal im Ansatz versuchen würden, ihre schwammigen Leiber dezent zu verhüllen. Es sei eben auch eine Frage des Respekts den anderen Menschen gegenüber, wie man sich in der Öffentlichkeit zeige.

Das seit diesem Jahr in Wilhelmsburg beheimatete Modelabel Powder geht auf Gegenkurs zu der grassierenden Geschmacksresistenz. In den früheren Zinnwerken, heute ein organisch gewachsenes Kreativzentrum, entwirft und produziert Janneke Hülsebus bezahlbare Eleganz, die auch im Alltag nicht overdressed wirkt.

Ihre Inspiration gewinnt sie aus der Mode der 1930er- und 1940er-Jahre, als Frauen mit Wasserwelle und im Ballkleid wild zu Swingmusik tanzten. Die Eleganz dieser Zeit transportiert Janneke Hülsebus in die Jetztzeit. Ein bloßer Abklatsch der Schnittmuster aus der Swingzeit sei schon aus einem Grund ausgeschlossen: „Das Bild der Frau in der Gesellschaft hat sich zu sehr verändert“, sagt die Modedesignerin. In ihrer Freizeit veranstaltet sie Swingpartys, bei denen sich die jungen Gäste stilecht kleiden.

Janneke Hülsebus stammt aus Leer und hat an der Akademie JAK im Hamburger Stadtteil Hohenfelde Modedesign studiert. Drei Geschäfte im Karolinenviertel und im Schanzenviertel, Hamburgs wichtigste Adressen für unabhängige Designer, vertreiben ihre Mode. Mit Pop-up-Stores, also Kurzzeit- Läden für einige Tage oder Wochen, will Janneke Hülsebus sich demnächst in kleinen Städten bekannt machen. Lüneburg soll das erste Ziel sein.

Eine Modebar in München wird 30 Kleider der Hamburger Modedesignerin präsentieren. Janneke Hülsebus kann übrigens auch ganz bodenständig schneidern: Regelmäßig kehrt sie in ihre Heimatstadt nach Ostfriesland zurück, um das niederdeutsche Ensemble am Freilichttheater mit Kostümen auszustatten.

Wir möchten Ihre Meinung wissen: Sollten wir uns in der Öffentlichkeit bei Festen, im Theater und im Kino wieder schöner kleiden? Brauchen wir eine neue Ausgehkultur? Schreiben Sie uns: harburg@abendblatt.de