16 Tostedter Gymnasiasten haben sich zwei Schuljahre lang mit der Kunststätte in Jesteburg auseinandergesetzt

Jesteburg/Tostedt. Es ist kein Projekt, das Schüler auf eine Berufsausbildung vorbereitet oder ihnen praktische Dinge wie den elektrischen Stromkreis erläutert. Auf den ersten Blick erhöht es nicht einmal die Karrierechancen oder zeigt Missstände wie etwa die Verschwendung von Ressourcen im falsch getrennten Hausmüll auf. „Das hier ist etwas ganz anderes“, sagte Erster Kreisrat Rainer Rempe bei der Abschlusspräsentation des Projekts Tempeljahr 21 in der Kunststätte Bossard. „Hier geht es um eine ganzheitliche Blickweise, um Themen, die nicht sofort verwertbar sind.“

Vielleicht war das für die 16 Oberstufenschüler des Gymnasiums Tostedt gerade die Faszination, sich zwei Schuljahre lang voller Engagement mit dem Leben von Johann Michael Bossard zu beschäftigen, um so neue Ideen für die von ihm geschaffene Kunststätte im Jesteburger Ortsteil Lüllau zu entwickeln. Das nach dem Ersten Weltkrieg kontinuierlich ausgebaute Gesamtkunstwerk sollte fit für das 21. Jahrhundert gemacht und auch Jugendlichen stärker zugänglich werden.

Im Laufe der zwei Jahre fuhren die Schüler insgesamt an die 20-mal nach Lüllau, um vor Ort gemeinsam mit ihrer Lehrerin Kerstin Dubois und Bossard-Kunstvermittler Niko Wolf zu recherchieren und an ihren Ideen zu feilen. Zu zweit, zu viert oder einzeln machten sie sich an die Arbeit, um am Ende so unterschiedliche Ergebnisse wie eine Museums-App, Postkarten, einen 17-minütigen Film oder einen virtuellen Rundgang, der in der Kunststätte tatsächlich zum Einsatz kommt, zu präsentieren. Die Arbeiten wurden am Ende benotet und flossen in ihr Seminarfach mit ein, das eine ungewöhnliche Verbindung aus Theorie und Praxis in den Fächern Kunst, Geschichte und Philosophie darstellt.

„Wo finden Schüler sonst die Möglichkeit, sich so intensiv mit Kunst zu beschäftigen?“, fragte Rempe in seiner Rede, in der er auf die generelle Rolle von Schulkooperationen im Landkreis Harburg einging. Der viel zitierte Blick über den Tellerrand, das Sehen ohne Scheuklappen werde so ermöglicht. Kooperationen mit Firmen oder mit der Zukunftswerkstatt in Buchholz seien gute Beispiele dafür – und eben das Projekt Tempeljahr 21, bei dem man sich völlig neue Perspektiven erschließe.

Wie Kunststätten-Leiterin Gudula Mayr und Uwe Neumann, Leiter des Gymnasiums Tostedt, betonten, gehe das Engagement für das Projekt selbst auf den ehemaligen Leiter des Gymnasiums, Wolfgang Broy, sowie die stellvertretende Schulleiterin Regina Aepler und Lehrerin Kerstin Dubois zurück. Der verstorbene Pressesprecher des Landkreises, Georg Krümpelmann, der im Stiftungsrat der Kunststätte Bossard saß und in Tostedt lebte, brachte die beiden beteiligten Seiten zusammen. Im vergangenen Jahr wurde das Projekt sogar mit dem mit 3500 Euro dotierten Förderpreis der VGH-Stiftung für Museumspädgagogik ausgezeichnet.

Für die Schüler bedeutete vor allem dieser Preis eine tolle Anerkennung ihrer Arbeiten, die in den kommenden drei Wochen im Schweizer Schuppen der Kunststätte ausgestellt werden. Nadine Bolmans Illustrationen werden beispielsweise darunter zu sehen sein, in denen sie das Leben Bossards in filigranen Zeichnungen und begleitenden Texten nacherzählt. „Hier gab es nur eine tabellarische Darstellung seines Lebenslaufs, und da habe ich mir Gedanken gemacht, wie man das visualisieren könnte“, erläuterte die 18-Jährige ihre Herangehensweise an die Aufgabe, die noch dazu eine gute Übung für ihre berufliche Zukunft gewesen sein dürfte: Die Todtglüsingerin möchte nach dem Abitur gerne Kommunikationsdesign studieren. Da passt es, dass sie für ihre Arbeit 14 Punkte, also eine glatte Eins, erhielt.

Rainer Rempe hatte also recht, als er sagte, das Projekt erhöhe nur auf den ersten Blick nicht die Chancen für die berufliche Zukunft – auf den zweiten Blick ist das nämlich durchaus der Fall.

Das gilt auch für Jessica Sieb, 17, und Maja Viol, 18. Die beiden Handeloherinnen haben Szenen aus Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ vor Bossard-Kulissen nachgestellt, fotografiert und als Postkarte herausgebracht. „Uns hat die Kunststätte sofort an ein Wunderland erinnert“, erklärte Jessica ihre Idee. Sie selbst war es auch, die die märchenhaften Kostüme der Modelle entwarf und schneiderte, während Maja die Fotos schoss.

„Als Hobby werde ich das Fotografieren auf jeden Fall weitermachen“, sagte sie. Beruflich hat sie sich bereits für eine Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen entschieden. Anders Jessica. Sie könnte sich vorstellen, später als Kostümbildnerin zu arbeiten oder als Musicaldarstellerin. Um alle Optionen auszutesten, plant sie nach dem Abitur ein Praktikumsjahr. Die Projektarbeit jedenfalls sei eine tolle Arbeitsprobe, die sie einer Bewerbung unbedingt beilegen werde.