Bauern schufen vor vielen Jahren die heutige Lüneburger Heide. Damit sie bleibt, wie sie ist, muss sie mit speziellen Methoden gepflegt werden

Niederhaverbeck. Mehr als 1000 Jahre lang haben die Lüneburger Sole aus ihrem Untergrund gepumpt und daraus Salz gemacht. Und weil sie fürs Erhitzen der Siedepfannen so viel Holz brauchten, mussten sie es von weit her holen. Ganze Wälder wurden abgeholzt und nach Lüneburg in die Saline geschafft. In den landschaftlichen Lücken machte sich anschließend das Heidekraut breit.

So lautet die Kurzfassung einer weit verbreiteten Geschichte über die Entstehung der Lüneburger Heide. Sie klingt einfach und logisch. Nur: Sie ist falsch. Es war alles ganz anders. Die wahre Geschichte beginnt schon in der Eiszeit. Sand und Schmelzwasser der Gletscher hinterlassen in der Geest nährstoffarme Böden, karg und sandig. Nach der Zeit der Tundra bilden sich Wälder. Und als die Menschen vor etwa 6000 Jahren beginnen, sesshaft zu werden, beginnt auch die Zeit der Heide.

Der Heide? „Beim Begriff Heide fängt es eigentlich schon an“, sagt Julia Hallmann und lacht. „Welche Heide meinen wir, wenn wir Heide sagen?“ Die 33-jährige Umweltwissenschaftlerin, die bei der Stiftung Naturschutzpark arbeitet, erklärt: „Wenn wir von den 5000 Hektar ausgehen, die wir als Naturschutzgebiet betreuen, dann ist die Heide nicht durch die Lüneburger Saline entstanden, sondern durch die Menschen, die hier früher einmal gelebt haben.“

Die Autobahn 7 zieht sich wie eine Grenze durch die Heide. Östlich der Trasse können die Flächen rund um Amelinghausen durchaus für in Lüneburg benötigtes Holz gerodet worden sein. Aber westlich auf keinen Fall, so Hallmann: Viel zu weit wäre der Weg zur Saline gewesen.

Zurück zu den Menschen, die sich auf dem Gebiet der heutigen Lüneburger Heide zwischen Hanstedt, Döhle, Tütsberg und Schneverdingen ansiedelten. Sie rodeten die Wälder und legten Äcker an – weil der Boden so arm war, nur kleine Flächen. War der Acker nicht mehr fruchtbar, plaggten sie die Oberfläche ab oder verlegten ihre Landwirtschaft.

Ihr Vieh trieben sie in die Wälder – auf den Eichen wachsen eben die besten Schinken. Soll heißen: Die Schweine fraßen die Eicheln und Bucheckern, schadeten über die Jahrhunderte aber den Bäumen. Immer mehr Flächen wurden landwirtschaftlich genutzt, es gab immer schwächere Wälder und ausgepowerte Flächen. All das führte zur Entstehung der Heidebauernwirtschaft, die vor etwa 250 Jahren in der Region vorherrschte.

Jeder Heidebauernhof war groß und besaß eine Heidschnuckenherde. „Die Heidschnucken sind die Einzigen, die von der Heidepflanze leben können“, erklärt Julia Hellmann. „Jedes andere Tier wäre verhungert.“ So musste der Bauer nicht zufüttern – arm wie er war, hätte er sich das auch gar nicht leisten können.

Der Kreislauf von Natur und Mensch funktionierte damals folgendermaßen: Nur Heide kann auf dem kargen Boden wachsen. Nur Heidschnucken können von der Heide satt werden. Nur wenn sie kurzgehalten wird, wächst Heide kräftig nach. Die Schnucken kommen abends in den Stall, ihr Kot wird auf dem Acker zu Dünger, gleichzeitig liefern sie Fleisch und Wolle.

Weil Stroh als Einstreu für die Ställe zu wertvoll war, nahmen die Bauern Plaggen: Heidepflanzen inklusive Wurzel und Boden. „Das war eine echte Plackerei“, sagt Julia Hallmann, „und diese Formulierung stammt tatsächlich vom Plaggen damals.“

Heute ist die Heide ein Urlaubsziel und wichtig für den Tourismus. Deswegen wird die Landschaft weiterhin erhalten, auch ohne Heidebauern. Würde der Mensch die Landschaft sich alleine entwickeln lassen, würden dort Wälder wachsen und Gräser – durch Industrie und Landwirtschaft kommen über den Regen so viele Nährstoffe in den Boden, dass er für Heidepflanzen mittlerweile zu viele Nährstoffe bietet.

Die Folge: Der Verein Naturschutzpark lässt nicht nur Heidschnucken die Pflanzen kurz und damit vital halten, sondern mäht die Heide zusätzlich mit Maschinen. Außerdem wird der Boden regelmäßig flächenweise abgebrannt. Das tut nicht nur dem Heidekraut gut, sondern verbrennt gleichzeitig auch Moos und Gräser. Eine weitere Pflegemaßnahme ist das Schoppen. Das Durchhacken des Bodens lockert Moos und Humus, danach wird beides abgetragen.

Dass es natürliche Heide schon vor Tausenden Jahren – also lange vor der Lüneburger Saline – gegeben hat, beweisen übrigens die Hügelgräber rund um die Ortschaften Borstel, Behringen und Volkwardingen. Sie stammen aus der Bronzezeit. Unterhalb dieser Gräber haben Wissenschaftler Heidesamen im Boden entdeckt.