Zwei Harburgerinnen mit einer gemeinsamen Vergangenheit begegneten sich beim Seniorenfrühstück wieder

Harburg. Diese Begegnung gleicht einem Sechser im Lotto. Ziemlich unwahrscheinlich, dass sich nach gut 70 Jahren zwei Menschen wieder über den Weg laufen und in der gemeinsamen Unterhaltung herausfinden, dass sie als Schulkinder bereits recht aufregende Erlebnisse miteinander teilten. In Harburg hat der Zufall jetzt die beiden damaligen Schülerinnen Lisa Anders und Brunhilde Verse zusammengeführt. Ihr Jubel über das Wiedererkennen war riesig.

„Als Schülerinnen hatten wir beide dunkle Haare“, sagt Lisa Anders. Die gebürtige Eißendorferin ist nun 84 Jahre alt und ihre Haare sind grau. Brunhilde Verse ist 83 Jahre alt, und ihre Haare sind blond gefärbt. „Wie sollten wir uns an Äußerlichkeiten schon wiedererkennen“, fragt Brunhilde Verse. Beim Seniorenfrühstück in der Eißendorfer Apostel-Kirchengemeinde am Hainholzweg hatten sich beide am Tisch gegenüber gesessen und sich über die Länder unterhalten, in denen sie im Laufe ihres Lebens bereits waren. Das Gesprächsthema war ausschlaggebend, denn die beiden Frauen treffen sich bereits seit zwei Jahren in der kleinen Runde des Seniorenfrühstücks und waren ihrer gemeinsamen Vergangenheit zuvor nicht nahe gekommen.

„Also, ich war als Zwölfjährige schon in Ungarn“, hatte Brunhilde Verse erzählt. „Ich auch“, erwiderte Lisa Anders. Dann stellte sich heraus, dass sie 1942 zur selben Zeit auch im selben Ort waren, im damaligen Kurort Elöpatak an der Donau. Sie waren dort wegen der Bombardierung Hamburgs für ein halbes Jahr in der Kinderlandverschickung, um zumindest für einen gewissen Zeitraum in Sicherheit zu sein. Die Eltern hatten der sechsmonatigen Abwesenheit ihrer Kinder zustimmen müssen. „Ich halte die damalige Entscheidung meiner Eltern für beachtlich“, sagt Lisa Anders, „ich glaube, ich hätte mein Kind nicht so lange fortgelassen. Wir haben in Ungarn viel erlebt und gelernt und ich habe bei unserem Wiedererkennen spontan das ungarische Lied Erik a ropogos... gesungen. Ein wirklich bewegender Augenblick.“

Lisa Anders war damals Schülerin an der Lutherschule in Eißendorf und Brunhilde Verse ging in Harburg an der Reinholdstraße zur Schule. Am 2. Mai 1942 waren sich die beiden Schülerinnen dann zum ersten Mal begegnet, als es mit dem Dampfzug drei Tage lang von Hamburg nach Ungarn ging. Im Kurort Elöpatak in Siebenbürgen, am Rand der Karpaten (heute rumänisches Territorium) waren die Hamburger Schülerinnen in einem Kurhaus untergebracht. „Ich erinnere mich noch, dass die Verpflegung dort nicht besonders gut war“, sagt Brunhilde Verse. Im Ort waren zu der Zeit etwa 500 Mädchen aus Hamburg in der Kinderlandverschickung. „Als Zwölfjährige waren wir noch sogenannte Jungmädchen, mit 14 Jahren gehörten wir dem Bund Deutscher Mädchen an“, sagt Lisa Anders, „das war zu damaliger Zeit für uns normal. In der Kinderlandverschickung hatten wir auch Schulunterricht. Unsere Lehrerin war Christel Schütt aus Harburg. Wir sind uns später auch in Harburg häufiger begegnet.“

Der Aufenthalt der Harburger Schülerinnen im Kurort Elöpatak endete bereits nach drei Monaten, im August. Danach kamen sie hinaus aufs Land in das fruchtbare ungarische Landgebiet „Bazka“ südlich von Budapest. Bereits zu Zeiten von Kaiserin Maria Theresia waren dort viele Menschen aus Deutschland, zumeist aus Schwaben, angesiedelt worden, um dort Landwirtschaft zu betreiben. Die sogenannten Volksdeutschen wurden auch als „Donauschwaben“ bezeichnet. „Dort haben wir bei unseren Pflegeeltern gut zu essen bekommen“, sagt Lisa Anders, „ich kann mich an sehr viel Geflügel- aber auch Rindfleisch erinnern. Ich hatte allerdings auch Glück mit meinen Pflegeeltern. Sie hießen Hartmann, sie waren wohlhabend und hatten mehrere Bauernhöfe.“ Zu ihren Pflegeeltern, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor der russischen Armee nach Hessen geflüchtet waren, hat sie später noch Kontakt gehalten.

„Meine Familie hieß Stiefel“, sagt Brunhilde Verse, „sie war auch relativ arm und hat mich aber trotzdem als Pflegekind aufgenommen. Wir haben damals als Kinder in der Landwirtschaft mitgeholfen. Wir waren bei der Sonnenblumenernte dabei und wir haben auch geerntete Weintrauben mit unseren Füßen ausgepresst. Dass sie auch einen weichen Käse essen sollte, der nicht nur Paprika enthielt sondern auch lebende Maden – das sollte eine Delikatesse sein – hat sie schaudern lassen. Im Gegensatz zu Lisa Anders, die noch ihr Schulheft und Fotos von damals aufbewahrt und nun wieder freudig hervorgeholt hat, kann Brunhilde Verse keine Erinnerungsstücke mehr beisteuern.