Im Abendblatt-Streitgespräch äußern sich Vertreter traditioneller und alternativer Bauernverbände zum Fall Meilsen

Buchholz. Der Landkreis Harburg hat der Familie Becker einen Strich durch die Rechnung gemacht: Die geplante Erweiterung des landwirtschaftlichen Betriebes im Buchholzer Ortsteil Meilsen um einen Schweinemaststall für 1000 Tiere im Landschaftsschutzgebiet ist aller Voraussicht nach gescheitert. Über die Frage, welche Zukunft die Landwirtschaft im Landkreis Harburg vor dem Hintergrund solcher und weiterer Interessenskonflikte hat, diskutierten der Kreisvorsitzende des Landvolkverbands, Rudolf Meyer, Kreislandwirt Willy Isermann und der niedersächsische Sprecher der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Eckehard Niemann.

Hamburger Abendblatt:

Kann ein landwirtschaftlicher Betrieb nur zukunftsfähig bleiben, wenn er sich so wie der in Meilsen um 1000 Schweine vergrößert?

Niemann:

Ich verstehe, dass die Landwirte meinen, nur so könnten sie ihre Einkommen sichern. Der klassische Weg war es ja bisher, auf Mengen- statt auf Preiswachstum zu setzen. Das Problem ist aber, dass wir schon lange ein Überangebot an Schweinefleisch und deshalb nicht kostendeckende Erzeugerpreise haben. Aus unserer Sicht ist es deshalb ein perspektivloses und zudem akzeptanzloses Wachstum. Ich würde mir gar nicht anmaßen, darüber zu urteilen. Meiner Meinung nach ist die Zukunftsfähigkeit eines Betriebs das Gebot der Stunde. Dabei ist es gar nicht so maßgebend, was die Öffentlichkeit davon hält, sondern was Recht und Gesetz vorschreiben. Im Falle der Beckers besteht der Konflikt ja eher darin, dass der Stall in einem Landschaftsschutzgebiet entstehen soll. Für mich steht bei dieser Frage zunächst die Familie Becker im Vordergrund. Für sie ist die Erweiterung eine gute und notwendige Möglichkeit. Was die Überproduktion in Deutschland angeht: Das stimmt. Wenn man aber einen Vergleich zur Autoindustrie zieht, darf man nicht vergessen, dass wir auf den Export angewiesen sind. Wie soll es denn gehen, zu deutschen Kosten produzieren, um dann zu brasilianischen Preisen nach Russland zu exportieren?

Geht der Trend im Landkreis Harburg zu immer weniger Großbetrieben?

Meyer:

Ja, ich denke schon. Es ist Fakt, dass die Zahl der wirtschaftenden Betriebe im Landkreis immer weiter sinkt und die restlichen immer größer werden. Dabei muss man zunächst die Frage stellen, was ein Großbetrieb ist. Bei Schweinen gilt beispielsweise die Grenze von 1500 Tieren. Ich glaube eher, dass das nur der Trend sein wird, wenn man nichts tut. Die neuen Rahmenbedingungen für Niedersachsen, die die alte schwarz-gelbe Landesregierung angeschoben hat und die neue rot-grüne Regierung jetzt umsetzt, werden für eine Agrarwende sorgen. Sie besagt, dass Gemeinden Mastställe einer bestimmten Größe nicht mehr genehmigen müssen, wenn die Betriebe 50 Prozent der Futterfläche nicht selbst stellen können. Für Mastschweine liegt die Grenze bei 1500 Tieren, für Masthähnchen bei 30.000, für Legehennen bei 15.000 und für Rinder bei 600. Ja, aber dazu muss man auch wissen, dass wir im Landkreis Harburg keinen einzigen gewerblichen Betrieb haben, also einen Betrieb, der nicht 50 Prozent der Futterfläche selbst stellen kann. Von daher wird uns die Regelung gar nicht betreffen. Auch das, was man als Agrarindustrie bezeichnet, haben wir im Landkreis nicht. Im westlichen Niedersachsen oder den neuen Bundesländern mag das anders sein. Abgesehen davon ist der landwirtschaftliche Betrieb nun mal ein Unternehmen, das Rücklagen bilden muss, um Wachstum zu erzielen.

Das heißt, Landwirte setzen allein aufgrund wirtschaftlicher Zwänge auf immer größere Ställe?

Isermann:

Ein Landwirt muss wirtschaftlich rechnen. Er darf dabei aber nicht das Wohl der Tiere vergessen. Die eigentliche Vorgabe ist, dass ein Schwein 0,75 Quadratmeter zur Verfügung haben muss. Viele Landwirte geben ihm mehr Platz, denn nur so fühlt es sich wohl und ist leistungsfähig. Die Ställe heute sind lichtdurchflutet und gut belüftet. Im Gegensatz dazu, vor 50 Jahren, waren sie dunkel und stickig. Was Sie sagen, ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich der Bauernverband die Lage schönredet. Die EU hat es schon vor rund zehn Jahren zur Vorgabe gemacht, dass Schweine Zugang zu Stroh haben sollen und Schwänze nicht kupiert werden dürfen, aber der Bauernverband sorgte dafür, dass die Gesetze in Deutschland nicht umgesetzt wurden. Für 90 Prozent der Betriebe gibt es Ausnahmeregelungen, während beispielsweise Schweden, Finnland, Norwegen und teilweise Großbritannien die Vorgabe bereits umgesetzt haben. Ja, aber bald wird sie in Deutschland auch angewendet werden. In Niedersachsen wird das 2016 der Fall sein. Man wollte zunächst nur klären, wie man sie am besten umsetzen kann.

Stößt die Landwirtschaft im Hamburger Umland vor lauter Landschaftsschutzgebieten, Wohn- und Gewerbegebieten oder Ausgleichsflächen bald an ihre Grenzen?

Isermann:

Dazu ein paar Zahlen: Wir haben 56.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche im Landkreis, die von 900 Betrieben bewirtschaftet wird. Von den 56.000 Hektar stehen etwa 40 Prozent unter Schutz, sei es Wasser-, Landschafts- oder Naturschutz. Wenn man davon ausgeht, dass ein durchschnittlicher Betrieb 64 Hektar besitzt, wirtschaften 400 Betriebe sozusagen in Schutzgebieten. Denen würde man jegliche Wachstumsmöglichkeit versperren. Das können wir nicht hinnehmen, wenn wir Landwirtschaft erhalten wollen. Allein in den vergangenen sechs Jahren haben wir 792 Hektar Landwirtschaftsfläche durch Bebauung und Infrastrukturmaßnahmen verloren. Das entspricht zwölf Betrieben. Dem stimme ich grundsätzlich zu. Landschaftsschutz darf nicht automatisch dazu führen, dass ein Betrieb sich nicht entwickeln kann. Andererseits sind die Schutzgebiete ja eingerichtet worden, weil zuvor etwas schief gelaufen ist.

Kann der Landwirt das Verhalten der Verbraucher beeinflussen?

Meyer:

Eher nicht. Es gibt Versuche, zum Beispiel mit einem Tierschutzlabel einen Sonderstatus zu erarbeiten. Letztlich entscheidet aber der Preis. Gesamtwirtschaftlich sind solche Labels eher marginal. Das ist nicht der Weg, um zu höheren Preisen zu kommen.

Wie schafft man es, das Überangebot EU-weit zu reduzieren?

Niemann:

Zum Beispiel durch strengere EU-weite Regeln beim Bau, beim Tierschutz und beim Antibiotika-Einsatz.

Ab wann wird das greifen?

Niemann:

Ab 2016. Dann greifen die strengeren Vorschriften des Niedersächsischen Tierschutzplans. Die Betriebe werden sich entweder darauf einstellen oder die Produktion wird sich verlagern. Der Bereich „Folgenabschätzung“ wird aber zu gering bedacht. Die Legehennenhaltung ist im Landkreis fast verschwunden, aber die Eier sind ja noch in den Regalen. Ich glaube nicht, dass man so etwas politisch steuern kann. Mengensteuerung zur Produktionsbeeinflussung war ja im Ostblock gang und gäbe, aber das will ich nicht. Als freier Bauer will ich entscheiden, was ich produziere. Staatliche Eingriffe sind meist fehlgeschlagen – siehe Milchquote, siehe Zuckerquote. Zum Verbraucherverhalten: Um Bio-Fleisch wird so ein Geschrei gemacht, dabei macht es nur 0,4 Prozent des verkauften Fleisches aus. Aus dem Verbund „Neuland“ haben sich zum Beispiel 40 Prozent der Betriebe wieder verabschiedet, weil es sich für sie nicht lohnte. Das eigentliche Problem liegt woanders: Die Verbraucher in Deutschland geben zehn bis zwölf Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus, die Franzosen aber 20 Prozent. Wenn wir das den Leuten beibringen könnten... aber hierzulande ist der Zweiturlaub oder das Auto ja wichtiger. Ich widerspreche dem Ostblock-Vergleich. Die Rübenbauern etwa plädieren ganz klar für die Quote und die damit verbundenen guten Erzeugerpreise. Die wurde ja auf Druck der Süßwarenindustrie und der Rohrzuckerlobby aus Brasilien abgeschafft. Es geht auch nicht um Bio oder konventionell, sondern um eine generell tierschutzgerechte Landwirtschaft, die zu höheren Preisen produziert. Darum, wegzukommen von der Überproduktion. „Neuland“ war als Modell gedacht und von vornherein begrenzt, weil wir nur über Metzgereien vermarkten. Es bleibt aber eine Nische, weil es mit den Verbrauchern nicht funktioniert. Ab 2016 wird das Prinzip Neuland aber in wesentlichen Teilen der Maßstab für die Schweinehaltung ohne Schwänzekupieren werden. Ich hatte früher nie das Gefühl, dass ich Tiere quäle, wenn ich Ferkel kastriere oder Schwänze kupiere. Es hatte ja seinen Zweck. Heute ist die Zahl der Landwirte rückläufig, es gibt immer weniger „Dorfkinder“, die noch die Zusammenhänge sehen. Dafür gibt es immer mehr „Streicheltierfreunde“. Aber wenn ich mit der Behauptung konfrontiert werde, „da wird gequält“ – also, das ist absurd.

Leiden die Verbraucher also unter Realitätsverlust?

Meyer:

Ich habe früher mit meinen Azubis den Schlachthof besucht, damit die auch diese Seite der Viehhaltung kennenlernen. Man kann das jemandem, der keinen Bezug dazu hat, nicht erklären „was wird wie und warum gemacht“, aber es gehört eben dazu. Landwirtschaft ist kein „Bullerbü“ und kann es auch nicht sein. Die Leute interessieren sich aber für die Realität auf den Höfen, gewinnen Erkenntnisse, sicher auch in Richtung Vegetarismus, aber vor allem im Hinblick auf die Bedeutung artgerechter Tierhaltung und eines anderen Einkaufsverhaltens. Es muss mehr Begegnung mit dem Verbraucher geben, aber nicht in Form eines Tages des offenen Hofes mit Hüpfburg, sondern man muss zeigen, was im Maststall wirklich passiert. Ich habe übrigens früher auch Schweine kastriert und mir nichts dabei gedacht. Wie alle Landwirte war auch ich zwangsläufig ein Meister im Verdrängen. Man kann sich nicht so sehr auf das Einzeltier einlassen. Viele Verbraucher haben da eine andere Sichtweise. Wir Landwirte müssen das ernst nehmen.

Braucht die Landwirtschaft eine bessere Öffentlichkeitsarbeit?

Meyer:

Wir wollen sachlich begründen, warum wir was machen. Natürlich haben die Bürger das Recht, sich dagegen zu äußern. Am Beispiel Meilsen müssen wir erleben, dass der Faktor Freizeit offenbar höher wiegt. Ich bin auch froh in einer Gesellschaft zu leben, in der jeder seine Meinung sagen kann. Ich habe aber auch gelernt, dass wir uns bei der Öffentlichkeitsarbeit anders positionieren müssen. Wir müssen auch die junge Betriebsleitergeneration mitnehmen. Ich stelle fest, die lesen kaum Zeitung, informieren sich aber über Twitter. Aber das ist erst der zweite Schritt. Zuerst geht es um die Frage: Was wird mit „EU 14-20“? Öffentlichkeitsarbeit hängt vor allem von den Akteuren ab. Ich wünsche dem Bauernverband viel Geld für seine so genannte Kommunikation, die zumeist eher hohl und peinlich wirkt. Was nützt noch so viel Werbung, wenn die Inhalte falsch und agrarindustriebeschönigend sind? Die Bauern werden vom Bauernverband leider zu Unrecht in den negativen Akzeptanzstrudel der Agrarindustrie hineingezogen. Der Bauernverband sagt nicht, Agrarindustrie ist gut. Aber wir haben Nachholbedarf in der Frage „wie erreiche ich den Verbraucher“. Die Verbindung zwischen Stadt und Land ist heute vollkommen anders. Der Verbraucher entfernt sich immer weiter von der Urproduktion. Wir machen unsere Kampagnen selbst, und selbstverständlich nutzen wir Synergien mit anderen Landkreisen. Und eine Dimap-Umfrage hat ergeben: 95 Prozent der Bundesbürger finden Landwirte gut. Ja, 95 Prozent finden Bauern zu Recht gut, aber Agrarindustrielle würden bei Umfragen ein umso negativeres Ergebnis haben. Das Problem ist: Da ziehen Menschen aus der Stadt aufs Land, kaufen ihr Fleisch weiter beim Discounter, sagen: „das muss ja nicht aus Meilsen sein“ und ignorieren, dass dahinter auch eine Familie steht. Wir müssen bei solchen Planungen die Menschen von Anfang an mitnehmen. Das Vorhaben in Meilsen hat keine industrielle Größenordnung. Mit vernünftiger Kommunikation hätte man das hinbekommen. Aber: Die Keime führen dazu, dass im Umkreis die Immobilienpreise sinken. Sie werden auch nie erklären können, warum man 20 Hühner pro Quadratmeter hält. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Baulandpreise in Buchholz auch nur um einen Cent gesunken sind. Man ist doch in Buchholz froh, wenn man noch Bauland bekommt.

Was müsste sich ändern, damit die Landwirtschaft im Kreis auch in 20 Jahren noch eine Zukunft hat?

Isermann:

Eigentlich nichts. Die derzeitige Landschaftsschutzverordnung gibt her, dass Ställe dort privilegiert gebaut werden dürfen. Was fehlt, ist leider oft eine klare Linie bei der Auslegung der Gesetze. Im aktuellen Fall in Meilsen habe ich den Eindruck, dass die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises dem Protest der Bürger Gehör schenkt. Ich erlebe eher eine agrarindustriell geprägte Genehmigungspraxis. Es gibt eine riesige Lücke bei den Berechnungen zu Keimen. Generell haben wir aber bei den Genehmigungen Verbesserungen durchgesetzt. Meiner Meinung nach gibt es keinen gesetzlichen Handlungsbedarf. Vielmehr habe ich ganz grundsätzlich ein Problem damit, wenn man bezogen auf den Landkreis Harburg von Agrarindustrie spricht. Die gibt es hier nicht. Stattdessen werden die Missstände an anderen Orten auf uns übertragen. Mit Kampfthesen kann man schnell Aufmerksamkeit erregen, das ist natürlich einfacher, als wenn man in die Defensive gehen muss. Gesetzlichen Handlungsbedarf sehe ich nicht. Der Rechtsweg steht ja offen. Mir liegt daran, dass sachlich diskutiert wird und alles auf legalem Wege geregelt wird. Es kann immer nur um den Stall gehen, nicht um die Familie des Investors. Das wünschen wir uns alle.