Kirchen werben für ihre Gottesdienste, Chöre für ihre Probezeiten. Schilder mit Panzersilhouette sind Überbleibsel aus der Zeit des Kalten Krieges

Winsen/Buchholz. Schwarze Panzer auf gelbem Grund, lila Kirchen und exotische Namen aus fernen Ländern – wer auf den Straßen im Landkreis Harburg unterwegs ist, muss per symbolischer Aufforderung nicht nur auf Geschwindigkeit, Vorfahrt oder springende Rehböcke achten, sondern wird auch mit unzähligen Schildern konfrontiert, die eigentlich gar nichts mit dem Straßenverkehr zu tun haben.

Warum stehen die da? Dürfen die dort überhaupt stehen? Und welche gesetzlichen Regelungen gibt es überhaupt? Eine allgemeine Antwort zur Schilderfrage gibt zunächst einmal die Richtlinie für die wegweisende Beschilderung außerhalb von Autobahnen, kurz RWB, des Bundesamts für Straßenwesen, die das sogenannte „Gelbe System“ und das „Weiße System“ zum Inhalt hat – sprich: die eigentlich jedem bekannten gelben Schilder an Kreuzungen, die Hinweise geben wie etwa „Tostedt immer geradeaus“, und auf denen zusätzliche weiße Hinweise für Gewerbegebiete oder zentrale Einrichtungen zu sehen sind. Daneben gibt es die offizielle touristische Beschilderung auf ausschließlich braunen Schildern, im Landkreis ist darauf zum Beispiel besonders häufig der Hinweis auf die Kunststätte Bossard vermerkt.

Daneben gibt es immer wieder Schilder, deren Sinn sich nicht gleich auf den ersten Blick erschließt. Die gelben „Panzerschilder“ an Brücken zählen beispielsweise zu dieser Gruppe. Kryptische Botschaften wie „24/50“ oder „20/30“ sind darauf zu lesen, jeweils mit Strichen getrennt, darunter Pfeile in unterschiedliche Richtungen und darüber kleine Panzer und Lkw. Ähm, was soll das denn bitteschön bedeuten? Haben wir etwa eine besonders perfide Werbeoffensive der Rüstungsindustrie verpennt, die so ihre neuesten Sondermodelle einer breiten Öffentlichkeit vorstellt?

Nein. MLC-Schilder heißen diese Schilder offiziell, die Abkürzung steht für Military Load Class, mit der die für eine Brücke erlaubte maximale Lastenklasse angegeben wird. „Ein Leopard 2 dürfte bei MLC 40 zum Beispiel nicht darüberfahren“, erklärt Jochen Brück, Leiter der Betriebsgemeinschaft Straßendienst des Landkreises Harburg. Der Panzer mit einem Gewicht von etwa 60 Tonnen wäre zu schwer für die Brücke und würde sie glatt zum Einstürzen bringen. Leichtere Fahrzeuge wären aber erlaubt, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung, wie die Pfeile anzeigen.

Man könnte sich nun die Frage stellen, wann im Landkreis Harburg überhaupt die Situation einer solchen Panzerüberfahrt anstehen könnte. Wohl keiner der Bewohner dürfte in jüngster Zeit gesehen haben, wie Kolonnen von Militärfahrzeugen über die Landstraßen donnern. „Die Schilder stammen noch aus Zeiten des Kalten Kriegs, als die Alliierten in unserer Region waren“, sagt Brück. Regelmäßig brachen sie damals zum Manöver auf, deshalb war der Schutz der Brücken wichtig.

Nach Ende des Kalten Krieges verschwanden viele der gelben Schilder aus dem Straßenbild. Eine Verfügung des Landes Niedersachsen aus dem Jahre 2010 besage, dass die Schilder eigentlich weg könnten, so Brück. An zahlreichen Stellen im Landkreis sind sie bis heute trotzdem geblieben – vielleicht falls doch mal wieder ein Militärkommando durch deutsche Dörfer rollt? Brück wiegelt ab. Wegen der geringen Belastbarkeit der Brücken sei es teilweise nötig. Abgesehen davon würden Panzer heutzutage oft nicht selbst fahren, wenn sie doch mal irgendwo hinsollten, sondern würden von einem anderen Fahrzeug transportiert werden. Also nix mit Krieg-Üben.

So komplex wie die „Panzerschilder“ sind die Kirchenschilder nicht. Sie stehen an zahlreichen Ortseingängen und weisen auf den Beginn des Gottesdienstes in den jeweiligen Kirchengemeinden hin. „Sonntags in die Kirche!“, ruft dem Autofahrer beispielsweise das Schild an der Bremer Straße in Buchholz aus Richtung Bundesstraße 75 fröhlich zu. Kirchenkritische Geister könnten dahinter zwar einen unliebsamen Befehl vermuten, den sie geflissentlich zu ignorieren gedenken. Andreas Kern, Pastor der Buchholzer St.-Paulus-Gemeinde, will die Schilder aber als nett gemeinte Einladung verstanden wissen. „Es ist weltweit eine übliche Sache, dass Kirchen diese Hinweise geben“, erklärt er.

Die Farbgebung folgt einem System und ist in unseren Breitengraden einheitlich: Gelb für die Katholiken und lila für die Evangelischen. „Die Freikirchen konnten bei uns wählen und haben sich für Grün und Blau entschieden“, sagt Kern. Er habe die Erfahrung gemacht, dass vor allem Urlauber das Angebot dankbar annehmen. Die Schilder gehören der Kirche und sind von ihr finanziert sowie von der Stadt genehmigt. Dennoch hat Kern die Befürchtung, dass die Kirchenschilder im Chor der zahlreichen anderen Hinweise am Straßenrand etwas untergehen. Diese Sorge könnte man ganz grundsätzlich haben. Die Vorgabe der Straßenverkehrsordnung sei deshalb, möglichst immer weniger neue Schilder aufzustellen, sagt Buchholz’ Stadtsprecher Heinrich Helms. Auch dank der Navigationsgeräte, die mittlerweile jeder Autofahrer nutzt, seien sie nicht mehr so notwendig. Der Trend gehe außerdem hin zu mehreren kleineren Hinweissymbolen auf einem einzigen Schild wie etwa ein rotes Kreuz mit schwarzem Dach für ein Krankenhaus und ein Zug mit schwarzem Dach für den Bahnhof.

Eine verkehrslenkende Funktion sollen die offiziellen Schilder haben und keine Werbung sein. Einer Extra-Regelung unterliegen dabei Plakate für Konzerte, Messen oder andere Veranstaltungen, die in Buchholz beispielsweise zwei Wochen vor dem Termin bis zum Tag danach aufgestellt werden dürfen. Schilder, die auf Partnerstädte verweisen und an vielen Ortseingängen stehen, gehören laut Heinrich Helms in eine weitere Kategorie. „So wie man seinen eigenen Ortsnamen nennt, nennt man auch die der Partnerstädte.“

Und dann ist da noch die Kategorie „Wundern und Staunen“. In Marxen beispielsweise werben vier Chöre mit einem schmucken Hinweisschild am Ortseingang und -ausgang für ihre Chorproben. Dass sie das dürfen, begründet der Vorsitzende des Nordheide-Chors Manfried Schieß damit, die Chöre seien „das Aushängeschild der Gemeinde“. In Winsen wiederum dürften viele Passanten über die ungewöhnliche Tempo-5-Aufforderung an der Rohlandtstraße stolpern. „Kann mein Auto das überhaupt fahren?“, ist da wohl eine häufig gestellte Frage.

Sicherlich geht das. „Im Grunde ist das ja Schrittgeschwindigkeit“, sagt Stadtsprecher Theodor Peters. Die Stadt habe das Schild aufgestellt, um Fußgänger, spielende Kinder und Radfahrer zu schützen. An der kleinen Stichstraße zu einem Mehrfamilienhaus gibt es keinen Fußgängerweg, deshalb sei die Wahl auf das seltene Tempo-5-Schild gefallen.