Der Neurochirurg Dirk Wunderlich vom AK Harburg verbringt seinen Urlaub in einer Klinik im Tschad, um dort zu helfen

Harburg. Wenn sich der Neurochirurg Dirk Wunderlich morgens zu Fuß von Eißendorf auf den Weg in die Asklepios Klinik in Harburg macht, dann sind die knapp zwei Kilometer Wegstrecke für ihn eine gute Gelegenheit, noch einmal den Kopf frei zu bekommen, bevor er sich hoch konzentriert in seine Arbeit stürzt. Manchmal wundert sich der gebürtige Berliner, dass er letztendlich in Harburg gelandet ist, denn eigentlich hätte es ganz anders kommen sollen. „Nach dem Studium wollte ich so ein richtiger Buscharzt werden“, gesteht der 43-Jährige. Irgendwie kam es dann doch anders, Wunderlich blieb in heimischen Gefilden, spezialisierte sich auf die Neurochirurgie und hatte diesen Teil seiner Lebensplanung schon beerdigt.

Doch das Schicksal wollte es anders: Auf einer Tour mit dem Roller brach sich sein Chef vor zwei Jahren das Sprunggelenk und die Abteilung musste deshalb viele Operationen verschieben. Wunderlich sollte in dieser Zeit Urlaub und freie Tage abbauen. „Vier Wochen auf der faulen Haut – fand ich doof“, erzählt er. Als Mitglied der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten sagte er sich, dass Gott etwas anderes für ihn geplant haben musste. Also schrieb er im Herbst 2012 eine E-Mail an die Hilfsorganisation Gospel Ministries International, die Helfer in Entwicklungsländer vermittelt, und bot seine Kraft und sein Fachwissen an.

Das Krankenhaus liegt zehn Busstunden von der Hauptstadt entfern

Vier Stunden später bekam er eine Antwort mit zwei Kontaktdaten. Eine davon war die Telefonnummer eines Krankenhauses im Tschad. Es befindet sich in der Stadt Béré, rund zehn Busstunden von der Hauptstadt N’Djamena entfernt. Der kleine zentralafrikanische Staat gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Trotz nicht gerade umfangreicher Französischkenntnisse entschied sich Dirk Wunderlich schließlich, dorthin zu reisen. „Dann ging alles ganz schnell, ich musste mich impfen lassen und das Visum beantragen.“ Schließlich bekam er den letzten Platz im Flieger und im November ging es dann tatsächlich für ihn nach Afrika. „Ich hatte schon ganz schön Schiss“, sagt er rückblickend über seine Gefühle auf dem Weg zu seinem Bestimmungsort.

Dort angekommen, musste der Mediziner sich erst einmal von seinen europäischen Vorstellungen, was Ausstattung und Behandlungsmöglichkeiten angeht, verabschieden. Die Klinik besteht aus einzelnen kleinen Gebäuden, in denen behandelt und operiert wird, und in denen die Patienten untergebracht sind. Die Kranken schlafen in großen Räumen auf dem harten Steinboden, tagsüber sitzen sie auf einer großen überdachten Veranda. Angehörige sind den ganzen Tag da, kümmern sich und kochen Essen. Was die Diagnose und Behandlung angeht, stoßen die Ärzte dort schnell an ihre Grenzen: „Es gibt kein Röntgengerät, nur ein kleines Labor, ganz zu Schweigen von der Ausstattung des OPs“. Der entpuppte sich als ein Raum mit offenen Regalen, in denen alles lagert, was gebraucht wird, hygienisch und steril sind nicht mal die Instrumente, mit denen operiert wird. Und der Kreißsaal ist eher eine Geburtskammer, mit zwei eng aneinandergestellten Betten und funzeliger Beleuchtung. „Obwohl die hygienischen Verhältnisse alles andere als gut waren, habe ich in meiner Zeit dort nicht eine einzige Infektion nach unseren Behandlungen gesehen“, erzählt Dirk Wunderlich.

Für ihn war die Arbeit dort ein Sprung ins kalte Wasser, als Neurochirurg gab es für ihn nur wenig zu tun. Er musste sich auf sein Studium besinnen, denn in einem Krankenhaus mitten in der Savanne muss man als Arzt Allrounder sein. In der ersten Woche assistierte der Mediziner seinem amerikanischen Kollegen Rollin Bland, der die Klinik seit einigen Jahren leitet. In der zweiten Woche dann operierte er selbst alles, was anfiel. Seine bescheidene Belohnung am Ende eines langen Tages: ein warmes Essen und ein Mango-Bananen Smoothie.

Da das Krankenhaus in Béré den Ruf hat, die Patienten auch wirklich zu behandeln, nehmen die Menschen sehr weite Wege auf sich, um sich dort heilen zu lassen. Zwar gibt es auch staatliche Kliniken, „aber da wird ständig gestreikt“. Vor allem Verletzungen und Brüche durch Stürze vom Motorrad, sowie Zysten und Tumore können operiert und versorgt werden, aber da es an allen Ecken und Enden an Instrumenten und Medikamenten fehlt, müssen die Arzte bei vielen Patienten aufgeben, ohne etwas tun zu können. „Antibiotika, Vitamine und Wurmkuren, das waren so ziemlich die einzigen Medikamente, die man dort verabreichen kann“, sagt Wunderlich. Fast jeder Einwohner des Landes ist von Malaria befallen, da die Umgebung in der Regenzeit lange unter Wasser steht. Vor allem, wenn Kinder starben, ging es dem 43-Jährigen Familienvater unter die Haut.

Komplikationen in der Schwangerschaft bedeutet für die Frauen Lebensgefahr

Der Tod lauert hier hinter jeder Ecke. Besonders die Frauen haben es nicht nur im Tschad, sondern in den meisten afrikanischen Ländern schwer. Unabhängig ob sie der arabischen, eher wohlhabenden Bevölkerungsgruppe zugehören oder der afrikanischen, sind sie es, die die Familie ernähren und die Kinder großziehen. Kinder sind die Altersversorgung. Gibt es in der Schwangerschaft Komplikationen, die man in Europa leicht behandeln könnte, bedeutet das für die Frauen und die Ungeborenen hier oft Lebensgefahr.

Ein große innere Befriedigung nahm der Arzt mit zurück nach Hause. „Ich habe mir ein großes Stück Dankbarkeit mitgebracht, dass es mir hier so gut geht.“ Bei seiner zweiten Reise, ein Jahr später, wusste Dirk Wunderlich, welche Mitbringsel am sinnvollsten waren und hatte jede Menge ausrangierte Instrumente, Implantate und technischen Geräte aus den Beständen des AK Harburg im Gepäck. Diesmal gab es zu der Zeit, in der er da war, genug junge Medizinstudenten, die assisistieren konnten, im OP wurde er also nicht dauernd gebraucht. Für ihn kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Stattdessen half er den Kollegen und räumte auf: „Ich habe unter den vielen Spenden im OP-Lager wahre Schätze entdeckt und wieder benutzbar gemacht. Jeder kann helfen, es sind auch die kleinen Dinge, die wichtig sind“, sagt er.

Und jetzt? Wie geht es weiter? Dirk Wunderlich wird wahrscheinlich auch in diesem Jahr die lange Reise auf sich nehmen und in das kleine Krankenhaus im Tschad zurückkehren. Diesmal würde er gern ein digitales Röntgengerät mitnehmen, „das ist dort am besten einsetzbar“. Allerdings kostet es gebraucht rund 35.000 Euro. Allein kann er das nicht bezahlen. Wer helfen oder für das Röntgengerät spenden möchte, kann dies tun.

Die Hilfsorganisation ADRA hat bei der Bank für Sozialwirtschaft ein Konto unter dem Stichwort „Tschad Krankenhaus“ eingerichtet:IBAN: DE87 6602 0500 0007 7040 00 BIC: BFSWDE33KRL