NABU-Mitglieder räumen die Nester auf. Nächste Störche werden im April erwartet

Winsen. Flapp. Mit einem saftigen Flatsch setzt der schwere Brocken Erde auf der Wiese auf. „Feinster Humus“, kommentiert ein Herr mit Schirmmütze das ungewohnte Geräusch am frühen Morgen. Es ist gerade kurz nach neunUhr, zwölf Meter über dem Kopf des Beobachters stehen zwei Männer mit Mistgabeln auf einer Hebebühne und lassen Haufen aus der Höhe fallen. Sie machen Frühlingsputz bei Familie Storch.

Hans Steinert hat den Hut auf bei der Aktion. Seit 1995 ist der pensionierte Elektriker Storchenbetreuer der Winsener Gruppe des Naturschutzbundes Deutschland (NABU). „Ist da irgendetwas schräg jetzt?“, ruft er von oben hinunter zu seinen Zuschauern, den Kollegen vom NABU und dem Besitzer des Steigers. Der 79-Jährige fragt nicht ohne Grund, hat er doch schon Storchennester gesehen, die so schief beladen waren, dass sie fast zu Boden kippten.

Um die 30 besetzte Nester gibt es in der Winsener Marsch, und der Bestand der Tiere hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht: Um 1990 herum kamen gerade einmal zehn Brutpaare pro Saison in die Gegend, das Jahr 1991 markiert den absoluten Tiefpunkt der Zählung – damals war die Anzahl nur einstellig.

Voriges Jahr hat der NABU 33 Paare gezählt, 72 Junge haben sie ausgebrütet. Warum das so ist, obwohl sich die Lebensbedingungen nicht verbessert haben, darauf weiß auch Dietrich Westphal vom NABU keine rechte Antwort. „Wir können uns das selbst nicht richtig erklären. Andere Wiesenvögel leiden darunter, dass die Landwirtschaft in den Jahren intensiver geworden ist.“

So gebe es kaum noch Kiebitze in der Winsener Marsch, keine Uferschnepfen und Große Brachvögel, kaum Bekassinen. „Die Störche sind aber anscheinend anpassungsfähig genug, mit den Bedingungen zurechtzukommen“, sagt Westphal, 63 Jahre alt, im Hauptberuf bei der Gemeindeverwaltung Stelle und im Ehrenamt Ansprechpartner der Winsener NABU-Gruppe. Eine Vermutung für die Störche-Explosion hat der Winsener jedoch: Der höhere Tidehub der Elbe könnte der Grund sein. Der spült mehr Fische auf Flächen, die bei Ebbe wieder trocken fallen – es bleiben mehr in den Tümpeln oder auf dem Boden zurück: gefundenes Fressen für Störche und Reiher.

„So, jetzt ist der Garten weg“, sagt Dietrich Westphal beim nächsten Flapp von oben und blinzelt in die Morgensonne. Wahnsinn, was die Tiere alles in ihre Nester fliegen: ganze Grasbulten, dicke Knüppel und lange Äste. „Die müssen aufpassen, wo sie langfliegen“, sagt Westphal und lacht: „Das sieht manchmal richtig wunderlich aus. Die Äste im Schnabel sind so breit, dass sie zwischen Bäumen lieber nicht hindurchfliegen sollten.“

Übers Jahr hinweg kompostiert das Material, wächst nach und nach in die Höhe. „Es ist Knochenarbeit, die Masse aus dem Nest zu lösen, eine richtige Kraftanstrengung.“ Doch alle zehn bis 15 Jahre muss sie sein, sonst wird der Horst zu schwer für den Mast – oder kippt bei ungleicher Beladung gen Boden.

Hans Steinert und Jürgen Hülskämper haben ihre Arbeit oben erledigt, die Arbeitsbühne surrt nach unten. „Als wir bei den Spatzennestern ankamen, haben wir aufgehört“, erzählt der Storchenvater, der nicht so gerne so genannt wird. An der Unterseite der Horste leben die Mitbewohner der Störche – und zwar das ganze Jahr über.

Sechs bis acht Nester nehmen die Männer vom NABU pro Frühjahr in Angriff, um sie für die neue Brut aufzuräumen. „Dieses hier war schon etwa einen Meter hoch“, sagt Jürgen Hülskämper, 66, „wir konnten sogar die einzelnen Packungen erkennen, wie Jahresringe.“

Der erste Storch der Winsener Marsch ist seit dem 14. Februar da, ihn hat Hans Steinert an der Seebrücke am Laßrönner Weg gesehen. Abgesehen von dem Artgenossen in Drage, der gar nicht erst in den Süden geflogen ist und zwischenzeitlich zum Medienstar wurde.

„Dieser Storch hat uns monatelang Anrufe beschert, manchmal mehrere am Tag“, sagen die Männer und lächeln im Dreierpack: „Aber nicht nur uns. Auch beim Landkreis riefen die Leute immer wieder an und erzählten, dass sie einen Storch gesehen haben.“ Richtig fliegen konnte er nicht mehr, eine Tierärztin hat ihn schließlich zur Wildtierhilfe nach Soltau gebracht.

Mit dem Frühlingsputz im Nest sind die NABU-Männer mittlerweile fertig – der April und damit der größte Ansturm der Störche kann kommen.