Am Spreehafen in Wilhelmsburg ist das Modelabel rara couture beheimatet. Raphaela Renner stellt ihre Kollektion vor

Wer für diesen Sommer Shirts sucht, die garantiert kein zweiter hat, sollte im Internet nach Modedesignern aus der Nachbarschaft suchen. In Wilhelmsburg entwirft Raphaela Renner, 35, Designerstücke mit Stoffen aus biologischem Anbau. In diesem Sommer produziert die Diplom-Modedesignerin ihre erste Upcycling-Kollektion. „Schrott-à-porter“ nannte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ vor zwei Jahren liebevoll den Modetrend, bei dem neue Kleidungsstücke aus Textilabfall und ausrangierten Stoffen entstehen.

In einem von der Hafenwirtschaft verlassenen Verwaltungszweckbau nahe des Spreehafens in Wilhelmsburg ist das Ein-Frau-Unternehmen rara couture versteckt. Ein Klingelschild fehlt an der zugesperrten Tür, aber das Modelabel ist ja auch keine Verkaufsstätte. Nicht einmal 20 Quadratmeter groß ist das Atelier.

Für 125 Euro Monatsmiete ein Paradies für Kreative, die ihren Traum vom eigenen Label leben. Es bietet Platz für einen Schreibtisch, einen großen Schneidetisch, einen Kleiderständer und eine Schrankwand. Raphaela Renner entwirft und näht hier alle Kleidungsstücke und Accessoires selbst. Wer Mode von rara erwirbt, besitzt garantiert ein Unikat.

Gekonnt in einem Rutsch schneidet Raphaela Renner mit der Schere den weißen Stoff. Einfache Schnitte habe sie für ihre neue Kollektion gewählt. Sie kombiniert die Shirts aus von Händlern ausrangierten Stoffen mit Details aus Secondhand-Ware. Der Clou ist die Veredelung von Designerhand: Mit Spitze von Nachtwäsche, die einst ein Ladenhüter war, schafft sie raffinierte neue Kleidungsstücke.

Um Trendfarben muss sich das Label rara couture keine Gedanken machen. Beim Upcycling verarbeitet die Modedesignerin die von der Gesellschaft aussortierten Stoffe. Gedanken um die Farben der Saison, die Modemagazine so sehr bemühen, findet Raphaela Renner ohnehin überbewertet: Leute, die sie kenne, kauften Mode nicht wegen einer bestimmten Farbe, sagt sie.

An Hamburgs wohl bekanntester Schule für die Kreativen der Modeszene, am Design Departement an der Armgartstraße, hat Raphaela Renner ihr Diplom erworben. Viele junge Designer machen sich mit Online-Shops selbstständig. Immer mehr Labels spezialisieren sich dabei auf Öko-Mode. Bio-Baumwolle ist dabei der beliebteste Stoff. Gestartet mit schlichten Basics, bietet die Eco-Fashion heute längst auch Businessmode aus ökologischen und fair gehandelten Stoffen, und das alles andere als altbacken.

„Mir geht es darum, neue Wege zu entdecken, wie man Kleidung produzieren kann“, sagt Raphaela Renner. Nach Schätzungen werfen die Deutschen jedes Jahr rund 100.000 Tonnen Alttextilien in Kleidercontainer und geben sie bei Straßensammlungen ab, berichtete kürzlich das ARD-Magazin „W wie Wissen“. Beim Upcycling entsteht aus Abfall neue, höherwertige Kleidung. Die Design-Nische hat sich längst etabliert. Grüne Mode ist mittlerweile ein Bestandteil bei der Fashion Week in Berlin geworden. Auf Druck einer kritischen Bevölkerung hat der Moderiese H&M vor drei Jahren sogar eine eigene „Waste Collection“ herausgegeben.

Aber es sind vor allem die kleinen Modeschöpfer wie Raphaela Renner, die mit ihrem Idealismus Designermode zu erschwinglichen Preisen auf den Markt bringen. An den wirklichen Warenwert ihrer in Handarbeit hergestellten Unikate verschwende sie keinen Gedanken mehr. „Ich nehme mir die Freiheit, über Zielgruppen und Produktionszeiten nicht nachzudenken“, sagt Raphaela Renner.

So sehr Menschen sich auch für ihre Mode begeistern, Kunden seien üblicherweise nicht bereit, mehr als 50 Euro für ein Shirt oder 100 Euro für eine aufwendig verarbeitete Bluse auf den Tisch zu legen.

Die Diplom-Modedesignerin aus Wilhelmsburg sieht sich als Künstlerin, nicht als Unternehmerin. Nur so sei sie glücklich. Die finanzielle Sicherheit, die ihr diese Freiheit erlaubt, gibt ihr ein Teilzeitjob außerhalb der Modeszene.

Die Menschen auf der Straße sind ihre Inspiration. Aus Eindrücken werden vage Bilder im Kopf, die Raphaela Renner im Atelier in Mode umsetzt. Neue Kleidung entsteht dabei als Experiment. Der Stadtteil Wilhelmsburg trägt einen großen Teil dazu bei.

Steine, mit denen sie Stoffteile auf dem Schneidetisch beschwert, hat sie am Elbufer gesammelt. „Hier sehen nicht alle Leute gleich aus“, sagt sie. Ihr gefällt, dass besonders viele junge Leute auf der Elbinsel wohnen: „Ich habe mal in Eilbek gewohnt. Dort ist es im Vergleich zu Wilhelmsburg wirklich so richtig tot.“