Berufung und Beruf standen bei Dirk Schulze oft gegeneinander. Er nutzte das kreativ

Wilstorf. „Ein erfolgreicher Countrysong braucht nur vier Zutaten: Drei Akkorde und die Wahrheit“, hat Countryhit-Schreiber Harlan Howard einmal zusammengefasst. Er vergaß zu erwähnen, dass die wahre Geschichte auch interessant sein muss, damit sie jemand hören will. Spannung muss drin sein, Emotion und Konflikt. Leben eben. Lebenserfahrung bringt Dirk Schulze mit: Deutschlands bester Countrysänger des Jahres 2012 war stets hin- und hergerissen zwischen der Berufung als Musiker und dem Beruf als Maurer. Entscheidend war dabei immer etwas, das auch in der Country-Musik als wichtige Konstante gilt: die Familie.

Geboren wurde Dirk Schulze mitten in Heimfeld. Das ist nun bummelige 49 Jahre her. Mit Musik kam er das erste mal aktiv in Kontakt, als er 12 war. An der Schule Weusthoffstraße gab ein Lehrer Gruppen-Gitarrenunterricht „Akkorde schrammeln und Lieder singen, mehr war das nicht, aber es hat gereicht, mich anzufixen“, sagt Schulze. Später nahm er selbst Unterricht, lernte klassische Gitarre und Klavierspielen.

An eine Musikerkarriere hatte er dabei nie gedacht. „Das Baugeschäft Schulze wartete auf mich. Mein Opa hatte es gegründet, mein Vater führte es, und wer es irgendwann übernimmt, war klar.“

Also ging es in die Maurerlehre. Der Musiklehrer war entsetzt. Er war der Meinung, Dirk hätte Talent. Jetzt hatte er aber erst einmal schwielige Hände. Und gegen die Familientradition kam der Musiklehrer ohnehin nicht an. Baugerüst statt Tonleitern und Estrich statt Etüden waren nun angesagt. Ganz trat die Musik jedoch nicht in den Hintergrund: 1983 spielte Dirk Schulze in seiner ersten Band. Punk. „K.O.alition“ hieß die Truppe. Manch Harburger Alt-Punker bekommt heute noch feuchte Augen, wenn er diesen Bandnamen hört. Dirk Schulze spielte dort Bass. „Und da war ich als Maurerlehrling im Vorteil“, sagt er. „Ich hatte nämlich Geld. Die anderen Bandmitglieder waren alle Gymnasiasten und mussten zu Hause betteln. Ich hatte immer die besten Verstärker und wenn ich es brauchte, auch ein Auto.“

Die K.O.alition der Oberschüler mit dem Maurerlehrling hielt allerdings nicht lange. 1985 sattelte Schulze um und rockte mit Dirks R&B-Band. Dann war die Lehre beendet und Dirk Schulze packte seine Sachen: Die Wanderschaft lag an. Drei Jahre und einen Tag tippelte er durch Europa. Die Gitarre hatte er dabei nicht unter dem Arm. Die war stets in der Post. Von überall, wo Wandergeselle Schulze das Gefühl hatte, länger bleiben zu wollen, telefonierte er nach Heimfeld und ließ sich die Gitarre schicken. Ging es weiter, schickte er das Instrument erst einmal wieder nach Hause. So sah seine Gitarre London, Paris und Zürich. Dirk Schulze schrieb erste Lieder, über Kollegen und die Arbeit. „Das waren meine ersten eigenen Country-Songs“, sagt er. Seitdem ist in allem, was er musiziert, mindestens eine Prise Country enthalten.

Kaum zurück in Harburg, hatte Maurer Schulze eine Begegnung, die sein Leben veränderte: Kerstin. Verliebt, verlobt, verheiratet – vermehrt. Auf Tochter Annika folgten die Söhne Eike und Fridtjof. „Nun hatte ich eine Familie und Verantwortung. Da kam die Gitarre erst einmal in die Ecke. Geld verdienen war angesagt, und Nestbau – erst in Langenbek, dann in Wilstorf.“

Ganz nebenbei besuchte Dirk Schulze die Meisterschule. „Aber wirklich eher nebenbei“, sagt er. „Ein Kurs hier, ein Kurs da, das hat sich über Jahre hingezogen – bis die Handwerkskammer Druck machte.“

Mit dem Meisterbrief in der Tasche und der Familie in ruhigem Fahrwasser konnte Dirk Schulze Ende der 90er-Jahre dann mal wieder an Musik denken und traf auf den Reinbeker Liedermacher Helmut Fuchs. Der lebte damals in Harburg und engagierte den musikalischen Maurer als seinen Begleiter. Von Song zu Song wechselte Dirk Schulze dabei von Gitarre zu Klavier und zu Bass – was gerade gebraucht wurde. Hier zahlte sich der Musikunterricht aus Teenagertagen aus. So kam Schulze auch zu Schmidt, nämlich ins Tivoli. Dort bespielten Helmut Fuchs und er die wöchentliche Sideshow.

2001 war es erst einmal vorbei mit der Freizeit: Dirk Schulze musste das Familiengeschäft als Chef übernehmen. Sein Vater konnte und wollte nicht mehr. „Das war keine allmähliche Übergabe, sondern ein ziemlich plötzlicher Vorgang“, sagt Dirk Schulze. Lange Arbeitstage waren die Folge. Die Musik musste erneut hintenan stehen.

Erst 2008 gelang es Harburger Musikern, Dirk Schulze zu reaktivieren. Sie hatten gerade ihre Folk-Band aufgelöst und suchten nach neuen Wegen. Dirk Schulze sollte Country-Elemente in ihre Musik bringen, so dass ein neuer Sound entstünde. Schulze sagte ja und die Celtic Cowboys waren geboren. Die Band wurde bald zur Erfolgsgeschichte. Fünfmal waren sie über mehrere Jahre in verschiedenen Kategorien des deutschen Rock-und-Pop-Preises nominiert und gewannen zweimal: 2011 für das beste Country-Album des Jahres und 2012 wurde Dirk Schulze zu Deutschlands bestem Country-Sänger erklärt. In Harburg spielen die „Cowboys“ das nächste Mal wieder am Freitag, 29. März, beim Seeve-Rock-Festival im Rieckhof.

Trotz Ruhm, Ehre und allem ernährt die Country-Musik keine Familie. Ein mittelständisches Baugeschäft garantiert allerdings auch keine sichere wirtschaftliche Zukunft mehr – goldener Boden hin, goldener Boden her. Dirk Schulze hat die Firma vor etwa einem Jahr verkauft und arbeitet nun als Bürohengst in der technischen Abteilung einer Immobilienverwaltung.

„Es fiel mir zuerst schwer, die Firma aufzugeben, aber jetzt habe ich auf einmal wieder Zeit“, sagt er. „Und ich habe Zeit, in der ich mir keine Sorgen machen muss.“

Dirk Schulze nimmt wieder Unterricht und schafft sich neue Instrumente an und drauf. Neue Songs entstehen, und der hauseigene Nachwuchs wird gefördert: „Meine Jungs haben schon auf meine Gitarre geschielt, als sie ganz klein waren“, sagt Dirk Schulze. Deshalb haben sie auch früh Unterricht bekommen. Fridtjof sattelte allerdings auf Schlagzeug um. Das ist jedoch von Vorteil, denn so ist die Familie gleich eine kleine Band. Bühnenerfahrung sammelten die Jungs mit dem Vater auch schon: Als „Ballroom Houseband“ bespielten sie, verstärkt durch zwei weitere Musiker, etwa ein Jahr lang die monatliche Session im „Marias Ballroom“ im Phoenix-Viertel.

„Fridtjof orientiert sich in letzter Zeit in Richtung Jazz, Eike in Richtung harte Rock-Gitarre und ich als Country-Songwriter dazwischen – das kann interessant werden,“ sagt Dirk Schulze. Wenn Vater und Söhne Harlan Howards Rezept beherzigen, darf man gespannt sein, was aus Wilstorf bald so kommt.