Wie Schulleiter im Landkreis Harburg die in Hannover beschlossene Abschaffung des Turbo-Abiturs bewerten

Winsen/Buchholz/Neu Wulmstorf/Meckelfeld. Die geplante Abschaffung des Turbo-Abiturs in Niedersachsen stößt bei den Leitern der Gymnasien im Landkreis Harburg auf ein geteiltes Echo. Während sie die Neuerung aus Schülersicht größtenteils begrüßen, da der Stundenplan nun wieder entzerrt werden kann, äußern sie auch einige generelle Bedenken. Es drohe jetzt wieder für Jahre ein schulisches Durcheinander, das viel Kraft koste, außerdem sollte man keine abermalige Änderung im Hauruckverfahren angehen, so der Tenor.

In dieser Woche hatte Kultusministerin Frauke Heiligenstadt überraschend angekündigt, dass die Gymnasien in Niedersachsen vom Schuljahr 2015/16 an wieder das Abitur nach neun statt wie bisher nach acht Jahren anbieten sollen. „Die Tür zum G 9 ist offen“, hatte die Ministerin gesagt. Weitere Details der Umsetzung sind noch nicht bekannt.

Peter Lindemann, Leiter des Gymnasiums Neu Wulmstorf, betont zwar, dass sich durch eine längere Schulzeit im Alltag viel entspannen würde und die Schüler wieder stärker an Nachmittags-AGs teilnehmen könnten. Bauchschmerzen habe er aber, wenn er sehe, wie viel Kraft man aufgewandt habe, um auf G 8 umzustellen – und nun alles umsonst gewesen sei. Seiner Meinung nach hätte man da gleich beim G 9 bleiben können.

„Anfangs war ich durchaus ein Vertreter des Abiturs nach acht Jahren“, räumt Lindemann ein. Noch vor zehn Jahren schlossen viele deutsche Studenten erst mit Ende 20 ihr Studium ab, während die Absolventen der Nachbarstaaten schon mit 23 oder 24 Jahren ins Berufsleben starteten. Eine kürzere Schulzeit schien da sinnvoll. Doch nach dem Wegfall der Wehrpflicht und der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge sind auch deutsche Absolventen heute deutlich jünger. „Die Notwendigkeit eines schnellen Abiturs ist gar nicht mehr so sehr vorhanden“, sagt der Schulleiter.

Peter Oberbeck, Leiter des Gymnasiums Meckelfeld, empfindet die Belastungen für die Schüler beim G 8 ebenfalls als zu groß und würde sich über eine Rückkehr zum G 9 freuen. „Von der neunten Klasse an haben die Schüler 34 Wochenstunden, wer dann noch eine dritte Fremdsprachen dazunimmt, kommt schnell auf 38.“ Für einige sei das wirklich zu viel. Es sei außerdem gut, dass dann Gymnasien und Gesamtschulen wieder die gleichen Bedingungen hätten. Bisher haben Schüler an Gesamtschulen die Möglichkeit, das Abitur nach neun Jahren abzulegen.

Hans-Ludwig Hennig, Leiter des Albert-Einstein-Gymnasiums in Buchholz, fürchtet vor allem das Durcheinander, das nun für fünf bis sechs Jahre wieder auf die Schulen zukommen wird. „G 8 ist bei vielen noch gar nicht richtig angekommen und nur zu drei Viertel umgesetzt“, sagt er. Jetzt schon wieder an den Strukturen zu rütteln, sieht er kritisch. Er will jedoch nicht abstreiten, dass eine längere Schulzeit für die Schüler von Vorteil sein kann.

Schon jetzt fragt er sich, wie die längere Schulzeit umgesetzt werden soll. Der Aufwand werde groß sein, zumal auch eine schlichte Rückkehr zu den alten G-9-Modellen ausgeschlossen sein dürfte. „Dafür sind zu viele Vorgaben im Curriculum verändert worden“, sagt Hennig. Das Turbo-Abitur startete im Schuljahr 2004/05 in den Klassen fünf, im selben Schuljahr wurde auch die Orientierungsstufe für die fünften und sechsten Klassen aufgehoben.

Michael Kiselowa, Leiter des Luhe-Gymnasium in Winsen und Vorstandsmitglied der niedersächsischen Direktorenvereinigung, betont ebenfalls, dass die Bezeichnung „Rückkehr“ zum G 9 nicht korrekt sei, da es zuvor ja noch die Orientierungsstufe gab. Das unter anderem vom Philologenverband vorgetragene Argument, man müsse doch nur die alten Pläne aus den Schubladen holen und könne mit G 9 bereits zum kommenden Schuljahr starten, hält er für falsch. „Dann würde man ja schon wieder eine Reform im Hauruckverfahren umsetzen.“ Er plädiert dafür, den Unterrichtsstoff von Klasse fünf bis neun auf 30 Wochenstunden zu verteilen und für leistungsstarke Schüler die Jahrgänge zehn und elf in einer Art Sprinterklasse zusammenzufassen, damit sie nach wie vor das Abitur nach acht Jahren machen können.