Die Holborn-Raffinerie produziert Millionen Tonnen Kraftstoff im Jahr. Wohl jeder Autofahrer in der Stadt hat schon einmal Benzin von dort getankt

Harburg. Manchmal sind regionale Produkte an ungewöhnlichen Orten erhältlich. So etwa an den Tankstellen in Hamburg. Die Chance, dass Autofahrer dort Benzin tanken, das in ihrer Heimatstadt hergestellt ist, liegt bei „über 50 Prozent“, wie Frank Heyder sagt. Er ist der Geschäftsführer der Holborn-Raffinerie, ansässig im Stadtteil Harburg, an der Moorburger Straße. Sein Betrieb ist der letzte in der Stadt, der in größeren Mengen Kraftstoff aus Rohöl herstellt. Der Eigentümer des Betriebs ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Zypern, der Hauptgesellschafter ist der Staat Libyen.

Je nach Tageszeit arbeiten bis zu 300 Menschen auf dem einen Quadratkilometer großen Gelände an der Süderelbe. Etwa die Hälfte von ihnen ist bei Holborn angestellt, die andere Hälfte bei Fremdfirmen. Ingenieure und Chemikanten sind unter ihnen, Mechaniker und Kaufleute, Sachbearbeiter und Buchhalter, Feuerwehrleute und Elektromeister.

Einer der Menschen, die jeden Tag ihr Auto auf dem Gelände parken, ist Peter Krull, seines Zeichens technischer Leiter. Er steht an einer Metallleitung, die so dick wie mehrere Baumstämme ist und an dieser Stelle aus dem Boden kommt. „Das hier ist die Pipeline, die die Raffinerie mit dem Rohöl versorgt“, erklärt er. Sie beginnt im 145 Kilometer entfernten Wilhelmshaven und verläuft unterirdisch, nicht weit entfernt von Orten wie Harsefeld und Buxtehude. „Hier fließen 766 Kubikmeter in der Stunde durch“, sagt Krull. Ein Schwimmbad, das in olympischen Wettkämpfen genutzt wird, fasst ungefähr diese Menge an Wasser.

Das Öl, das aus Ländern wie Nigeria und Russland, hauptsächlich aber aus der Nordsee kommt, wird mit Tankschiffen zum Wilhelmshavener Tiefwasserhafen gebracht und dort in die Pipeline eingespeist. In Harburg angekommen, wird es gemischt und in sogenannte Puffertanks geleitet, einige von ihnen erheben sich zylinderförmig am Horizont. Sie fassen bis zu 80.000 Kubikmeter, das sind etwa 100 olympische Schwimmbäder.

Weiter geht es zum sogenannten Röhrenofen, den Peter Krull über eine Außentreppe besteigt. Er öffnet eine Luke, hinter der eine bläuliche Flamme brennt. „Hier wird das Rohöl auf 390 Grad erhitzt. Dann wird es in einen Destillationsturm gepumpt“, sagt er. Ein solcher Turm, etwa 50 Meter hoch und im Sonnenlicht silbern glänzend, steht in Sichtweite. Das erhitzte Rohöl trennt sich dort in seine Bestandteile auf. Die schwersten Bestandteile, Vorprodukte von Schwerölen, bleiben im unteren Teil des Turms, wo es am heißesten ist. Leichtere Bestandteile wie Benzin und Gas steigen nach oben und werden dort abgezogen.

Bis tatsächlich Benzin und Diesel, Kerosin und Schiffsdiesel entstehen, müssen diese Vorprodukte in weiteren Destillationstürmen immer weiter verfeinert werden. „Es ist ein bisschen wie bei der Alkohol-Destillation“, sagt Frank Heyder. In anderen Stationen der Raffinerie werden die Kraftstoffe entschwefelt und vom Benzol befreit. Spezielle Verfahren sorgen dafür, dass das Benzin „klopffest“ wird – das bedeutet, dass es sich nicht zu früh im Zylinder entzünden darf. Bei Diesel-Kraftstoff hingegen wird das Gegenteil gemacht – nämlich dafür gesorgt, dass die Neigung zur Selbstentzündung erhöht wird.

Prozesse wie diese werden im sogenannten Leitstand überwacht. Frank Heyder geht zu dem Gebäude und öffnet die Tür zu einem großen, holzgetäfelten Raum, in dem zu dieser Tageszeit – es ist gegen 12 Uhr – fünf Mitarbeiter sitzen. An einem der Arbeitsplätze sitzt Operator Ruhne Sörensen. Er kontrolliert drei große Computerbildschirme.

Die vielen Zahlen und Kürzel auf dem Schirm sagen dem Reporter sehr wenig. Für Ruhne Sörensen hingegen geben sie darüber Auskunft, wie der Raffinierungsprozess in einem der Destillationstürme verläuft. „Fluid Catalytic Cracking“ nennt sich das, was in der von ihm überwachten Anlage passiert. Sörensen übersetzt: „Lange Molekülketten werden unter Hitze-Einwirkung in kürzere gespalten. Auf die Weise stellen wir Kraftstoffkomponenten aus Schweröl her.“

Wie die meisten Holborn-Mitarbeiter, arbeitet er im Schichtbetrieb. Je fünf Wochen arbeitet er entweder früh morgens bis mittags, nachmittags oder nachts. Seine aktuelle Schicht heißt „Dora“ – und das bedeutet, dass sein Arbeitstag in einer Stunde beendet ist.

Nur einen Flur vom Leitstand entfernt liegt das Labor der Raffinerie. Neun Mitarbeiter in weißen Kitteln untersuchen Proben der Kraftstoffe, die auf dem Gelände hergestellt werden. Laborant Birger Lagerpusch hält einen Glaskolben mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit in der Hand. „Bunker Fuel“, wie er sagt, Diesel für Schiffe. Ein anderer Kolben enthält farbloses Benzin, er wandert nun in einen Apparat, der den „Siedeverlauf“ testet. Birger Lagerpusch: „Der muss in Ordnung sein, zum Beispiel deshalb, damit das Auto auch im Winter startet.“

Wieder nach draußen, an die nach Öl riechende Luft, auf das Gelände mit den vielen, vielen metallenen Leitungen. Wie verlassen Benzin und Diesel, Kerosin und Heizöl das Gelände, wenn sie am Ende der vielen Veredelungs-Prozesse abfahrbereit sind?

„25 Prozent geht auf Seeschiffe“, sagt Peter Krull und führt seinen Besucher zu einem der sechs Anleger an der Süderelbe, an dem die Schiffe betankt werden. Sie laufen Häfen wie die von Rostock und Rotterdam an, Binnenschiffe mit Kraftstoff von Holborn fahren nach Salzgitter oder nach Magdeburg.

Ein kleinerer Teil der Holborn-Erzeugnisse, es sind etwa 15 Prozent, wird in Eisenbahn-Kesselwagen gepumpt. Dazu hat die Raffinierie einen kleinen Bahnhof, die Züge werden direkt auf dem Gelände befüllt. Der größte Anteil, etwa 60 Prozent, verlässt in Tankwagen das Gelände. Dazu gibt es eine Befüll-Anlage, die ein wenig an eine Zollstation auf einer Autobahn erinnert.

„Die Fahrer melden sich vorn am Eingang beim Dispatcher. Der schaltet dann die jeweilige Menge frei“, sagt Peter Krull. Gerhard Rietig ist einer der Fahrer, die gerade ihren Wagen befüllen. „Ich bin aus Bremen gekommen, hole Heizöl“, sagt er. Während des Tankens hat er eine Schutzbrille auf , das ist Pflicht. Sein Wagen ist einer von dreien, die gerade an der Befüllstation stehen.

Zu anderen Tageszeiten ist mehr los: „Die Stoßzeit ist zwischen 2 und 3 Uhr morgens“, sagt Peter Krull. „Bis zu 500 Tankwagen verlassen am Tag das Gelände.“ Darunter seien auch die Fahrzeuge verschiedener bekannter Tankstellen-Ketten. Die, so Krull, tanken natürlich nicht alle den selben Kraftstoff. „Jede Gesellschaft hat eigene Behälter mit Additiven, die sie beim Tanken beimischen.“

Zu geschäftlichen Lage, zur Zukunft der Raffinerie sagt der Geschäftsführer: „Der Bedarf an Mineralölprodukten sinkt. Deshalb sind in den vergangenen Jahren in Deutschland Raffinerien geschlossen worden.“ Auch gebe es einen starken Wettbewerbsdruck aus Ländern wie Indien. Heyder: „Wir können fünf Millionen Tonnen pro Jahr produzieren. In Indien werden jetzt Raffinerien gebaut, die 60 schaffen.“

Dort seien auch die Umweltstandards niedriger, das sei ein weiterer Wettbewerbsnachteil für die Harburger. Peter Krull betont aber: „Wir halten diese Standards ja für sehr sinnvoll. Zum Beispiel konnten wir seit den 80er-Jahren die Emission von Schwefeldioxid stark reduzieren. Das war einmal eine der Ursachen für das hiesige Waldsterben.“

Er sagt auch, wie er die Wettbewerbsnachteile auch in Zukunft wettmachen will: „Wir müssen einfach immer innovativ sein. Deshalb sind wir auch im Bereich Energie-Optimierung führend.“ Frank Heyder nennt noch einen Punkt, der ein Markenzeichen der Hamburger sei: „hohe Verlässlichkeit“.

Daran aber, dass Autofahrer an Tankstellen eines Tages Benzin „made in Hamburg“ wählen können, glaubt er noch nicht so recht.