Ohne eigenen Wohnraum haben junge Volljährige kaum Perspektiven. Sozialbehörde startet Projekt nach US-Vorbild

Harburg. Jugendliche und junge Erwachsene haben es schwer auf dem Wohnungsmarkt: Groben Schätzungen zufolge suchen jährlich 3000 junge Volljährige in Hamburg eigenen Wohnraum. Experten sind sich indes einig, dass die Dunkelziffer noch weit höher liegt. „Denn wie viele Jugendliche, die gerade 18 geworden sind, dauerhaft bei Freunden auf Sofas und Matratzen nächtigen, wird in keiner Statistik erfasst“, sagt Heinke Ehlers, die Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses in Harburg.

Deshalb hat die BASFI jetzt das Projekt „Hier wohnt Hamburgs Jugend“ auf den Weg gebracht. Ausgangspunkt ist eine Initiative der US-amerikanischen Sozialpolitik namens „Housing first“. Als Alternative zum herkömmlichen System von Notunterkünften oder einer temporären Unterbringung sollen Obdachlose direkt in „eigene vier Wände“ ziehen. Und dort in Krisensituationen zusätzlich von einem „multiprofessionellen Team“ unterstützt werden.

Diesem Ansatz folgend sollen nun auch für junge Volljährige in Hamburg preisgünstiger Wohnraum geschaffen werden. Auf dem freien Wohnungsmarkt sind solche Kapazitäten de facto nicht verfügbar. „Geplant ist sowohl der Umbau bestehender Bausubstanz, als auch die Übernahme von Kontingenten an Bestandswohnungen in städtischem Besitz“, so Pritsching. Denkbar sei aber auch eine Direktvergabe von Liegenschaften an Bauträger und Investoren. Oder die Bebauung von privaten Liegenschaften, soweit diese kostenlos nutzbar wären. „In diesen Fällen bedarf es allerdings Bauherren und Vermieter mit keiner oder nur geringer Renditeerwartung“, erklärte Pritsching.

An der Suche nach solchen Immobilien hat sich der Bezirk Harburg nach Auskunft von Sozialdezernent Holger Stuhlmann bereits beteiligt. Die Verwaltung habe der BASFI sechs geeignete Flächen in Harburg-Kern und Süderelbe vorgeschlagen, die im Harburger Wohnungsbauprogramm 2012 aufgeführt sind. „Außerdem hat das Bezirksamt angeboten, vermittelnd gegenüber Investoren und Bauträgern tätig zu werden“, so Stuhlmann.

In zwei Machbarkeitsstudien hat die BASFI bereits Konzepte für Kleinst- und Apartmenthäuser entwickeln lassen. Erste Entwürfe basieren auf Wohneinheiten mit standardisierten Grundrissen bis 30 Quadratmeter und einer „passgenauen Ausstattung“. Entstehen sollen sie in energiesparender Bauweise. „Ziel ist es, dass die Kosten für Finanzierung, Verwaltung und Instandhaltung 327 Euro nicht übersteigen“, sagt Wolfgang Pritsching.

Viele Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen, die zuvor in Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung betreut wurden, verschwinden nach dem Wegfall von Leistungsbezügen praktisch „vom Radar“. Zwar waren per 30. Juni 2013 in ganz Hamburg knapp 1000 18- bis 21-Jährige weiter in betreuten Wohnformen der Kinder- und Jugendhilfe registriert. Doch das Gros muss nach dem Erreichen der Volljährigkeit sehen, wo es bleibt. Das trifft im Besonderen auch auf 40 bis 50 Jugendliche zu, die pro Jahr nach Verbüßung einer Haftstrafe wieder auf freiem Fuß sind.

„Ohne Wohnung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung – darin besteht das große Dilemma“, sagt Wolfgang Pritsching von der Hamburger Sozialbehörde (BASFI). Auf diese Weise verlängere sich nicht nur die Beanspruchung von Leistungen der Jugendhilfe. Ohne eigenes Domizil gebe es auch kaum Perspektiven, es drohe die Obdachlosigkeit: „So kann es kaum gelingen, diese Jugendlichen in die Gesellschaft zu integrieren.“

Um den „home support“ sicherzustellen, stehen ab Juni 2014 flankierende Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) in Höhe von 400.000 Euro pro Jahr bereit. Mit dem Geld sollen Beratungsbüros für größere Wohneinheiten geschaffen werden, die sieben Tage in der Woche mit Psychologen und Sozialmitarbeitern besetzt sind. Auf 16 Jugendliche käme nach ersten Berechnungen ein Betreuer.

Wie drängend die Gefahr einer steigenden Zahl an jugendlichen Obdachlosen ist, illustrieren Zahlen aus dem Bezirk. Laut Sozialdezernent Holger Stuhlmann werden derzeit etwa 160 Harburger Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien betreut, weitere 300 „in sonstigen betreuten Wohnformen“. Damit sie nicht auf der Straße landen, müssen rechtzeitig alle Ressourcen ausgeschöpft werden.