Am 29. März 1814 legte Napoleon das Dorf bei seinem Abzug in Schutt und Asche. Ein Fest lässt die Geschichte aufleben

Gerade mal 200 Jahre ist es her, da war ganz Norddeutschland fest in der Hand des Franzosenkaisers Napoleon. Für die Verwaltung Hamburgs und Harburgs setzte Bonaparte einen seiner fähigsten Generäle, Marshall Davout, ein. Zeitweise waren allein im Harburger Schloss 5000 Mann Fußvolk und 2000 französische Kavalleristen untergebracht. Nach dem missglückten Russlandfeldzug begann der Stern Napoleons zu sinken. Als die Franzosen Anfang 1814 abzogen, hinterließen sie im wahrsten Sinne des Wortes verbrannte Erde. Zuerst gingen die Elbdörfer Lauenbruch, Neuland und Moor in Flammen auf. Dann brannte Heimfeld, Wilstorf folgte und am 29. März fackelten innerhalb einer Stunde die Dörfer Marmstorf, Appelbüttel, Eißendorf und die Überbleibsel Wilstorfs ab. 16 Familien lebten zu der Zeit in Marmstorf, bis auf das Haus des Kaufmanns Knupper am Langenbeker Weg 6 verloren alle Dorfbewohner ihr Dach über dem Kopf. Die Bauern flüchteten mit Frauen, Kindern und Gesinde in die umliegenden Wälder und wohnten längere Zeit in selbst gegrabenen Erdhöhlen.

Ein einschneidendes Erlebnis für eine Dorfgemeinschaft. In Erinnerung an diese Ereignisse vor 200 Jahren richten die Marmstorfer am Wochenende um den 29. März ein großes Fest aus. Pastor Thomas von der Weppen von der Auferstehungskirche ist ebenso dabei wie die Marinekameradschaft, der Sportverein Grün-Weiss Harburg, die Jagdgenossenschaft Marmstorf-Wilstorf-Eißendorf, die Liederfreunde Marmstorf, natürlich der Schützenverein und die Feuerwehr, der örtliche Landfrauenverband und die Realgemeinde Marmstorf. Außerdem werden Männer und Frauen in historischen Uniformen und historischer Kleidung drei Tage den alten Ortskern bevölkern und Schlachtszenen nachstellen. Dazu gibt es Musik, Theater und jede Menge Unterhaltung.

Die Marmstorfer waren schon immer zupackend. Als die Bauern vor den rauchenden Trümmern ihrer Häuser standen, wurde nicht lange gejammert, sondern in die Hände gespuckt und wieder aufgebaut: Schon ein Jahr nach der furchtbaren Zerstörung stand 1815 am Dorfteich das erste wieder aufgebaute Bauernhaus.

Das Leben ging weiter, man musste schließlich überleben, der Acker bestellen und das Vieh versorgen. Man stand mit den Hühner auf und ging mit ihnen zu Bett. Im Sommer, nach dem ersten Frühstück, dass meist aus gekochter Buchweizengrütze oder Buchweizenpfannkuchen bestand, gingen die Männer zur Feldarbeit. Die Frauen kamen später nach, zuerst mussten sie das Vieh versorgen und Wasser holen. Die Arbeit war hart, deshalb gab es für die Menschen gegen zehn Uhr ein zweites Frühstück, das oft aus gebratenen Kartoffeln bestand. Mittags kam dann etwas Deftiges auf den Tisch, meist waren es Eintöpfe, die stärkten und satt machten, aber nur wenig Fleisch enthielten.

Harte Feldarbeit bestimmte den ganzen Sommer

„Das Fleisch benützte man mehr als Würze, da es durch die Pökelung und Räucherung lange haltbar und geschmacksintensiv war“, erläutert Nils Kagel, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Freilichtmuseum am Kiekeberg. Am Nachmittag folgte dann der Nachmittagskaffee, wobei in den meisten Kaffeetassen damals wohl nur wenig der wertvollen Bohnen drin war, sondern stark verdünnt oder durch Zichorien ersetzt wurde. Kam man mit dem Sonnenuntergang vom Feld, wurde Abendbrot gegessen.

Während im Sommer das ganze Leben der Menschen von der Arbeit auf dem Feld bestimmt war, war der Winter die Zeit der Ruhe. Es gab die Gelegenheit, Werkzeuge herzustellen oder zu reparieren. In vielen Bauernhäusern stand ein Webstuhl, an dem Leinen gewoben wurde. Die Frauen saßen mit der Spindel in der warmen Stube und sponnen Wolle. Im Winter wurde auch geschlachtet, man nutzte die Kälte, um das Fleisch besser zu konservieren und zu verarbeiten. Wer nicht einen großen Hof hatte, musste meist etwas dazu verdienen. Viele Marmstorfer Bauern lieferten Milch an die Harburger Haushalte, die Marmstorfer Hinrich Hinze und Heinrich Behrens übernahmen den Transport in die Meierei in der Eddelbüttelstraße. Zunächst wurden die Milchkannen auf Blockwagen geladen, die von Hunden gezogen wurden. Später stieg man auf größere Pferdefuhrwerke um. Vieles zum leben Notwendiges musste selbst hergestellt werden. Die Leute hatten kaum Geld. Ab und zu kam ein fahrender Händler vorbei und holte aus seiner Kiepe wertvolle Schätze wie Tabak, Scheren und Zucker hervor und brachte Neuigkeiten mit.

Ein großes Ereignis im Leben der Menschen waren die Hochzeiten. Meist erbte der älteste Sohn bei der Hochzeit den Hof und wenn vorhanden die Gastwirtschaft. Zuvor musste er das Einverständnis des Gutsherren einholen, denn bis er sich mit viel Geld freikaufte, unterstand die gesamte Familie mit Leib und Leben dem Grundbesitzer seines Landes. Hatte ein junger Mann auf Brautschau ein Mädchen ausgewählt, schickte er ihr Liebesbriefe. Da viele Menschen nicht sehr gut schreiben konnten, gab es vorgedruckte Briefe, in denen die Holde mit schönen Versen besungen wurde. Der Brief war mit passenden Bildern ausgeschmückt, so dass man nur den eigenen Namen daruntersetzen und die Anschrift der Empfängerin eintragen musste.

Die Mitgift spielte eine große Rolle. Eine Braut in Marmstorf bekam üblicherweise ein Bett, Bettlaken, Kissen, Hemden, Handwellen, das waren Handtücher die auf eine Welle gespannt waren, Tafellaken und grüne Stuhlkissen mit ins Eheleben. Außerdem beinhaltete die Aussteuer Festtagskleidung, einen Kleiderschrank und eine Lade in Form einer Truhe oder einer Kiste. Hinzu kamen Geld, Rinder und Schweine, sowie Roggen und Hafer. Geheiratet wurde meist an einem Sonnabend und und in der Zeit zwischen Frühjahrsbestellung und Ernte. Am Polterabend vor der Hochzeit wurden Geschirr zerschlagen und Freudenschüsse abgegeben. Zum Dank bekamen die Älteren einen Cognak, für die Jüngeren gab es ein Stück Kuchen oder Apfelmost.

Das Ernefest war die bedeutendste Feier des Jahres

Im Frühjahr feierte man Faslam, zu Ostern wurde das Osterfeuer entzündet und an Pfingsten schmückten die Kinder das „Pingstkar“ und sammelten Geld, Eier und andere Lebensmittel. Es gab den Holz- und den Herbstmarkt in Harburg, dort deckte sich die Landbevölkerung mit neuen Schuhen, sowie Leitern und Holzgerät ein. Das Erntefest war das bedeutendste Fest des Jahres. War die Ernte gut, hatten die Bauern Grund zum Feiern, im Schützenhof am Feuerteich wurde dann getanzt und viel Grog getrunken.

Bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts hielt das beschauliche Dorfleben an. Dann wandelte sich das ländliche Leben immer mehr ins städtische. Vor allem gutsituierte Arbeiter aus der nahen Industriestadt Harburg zogen mit ihren Familien nach Marmstorf. In den 30er-Jahren wurde das Dorf der Stadt Hamburg angegliedert. Heute gibt es zwar noch den historischen Dorfkern rund um den Feuerteich, ansonsten ist Marmstorf mit seinen Bungalows am Garbersweg, Reihenhäusern an der Elfenwiese und schicken Villen am Schafshagenberg ein organischer Stadtteil Harburgs.