Eine Glosse von Bibi Maass

Lange habe ich es nicht wahr haben wollen: Ich werde alt! Nicht die Telefonbuch- und Zeitungsverlage wollen Geld sparen und drucken darum ihre Produkte in immer kleineren Lettern. nein – meine Sehkraft lässt nach.

Eines Tages schrumpfte vor meinen Augen das Ziffernblatt der Armbanduhr. Der Selbstbetrug war nicht mehr aufrechtzuerhalten. Eine Brille musste her! Das bestätigte mir dann auch der Optiker mit seinen einfühlsamen Worten: „Ab 40 verliert das Auge an Spannkraft. Warum kommen Sie erst jetzt?” Er verpasste mir so eine halbe Brille – modernes Design, todschick, aber eben untrügliches Zeichen fortschreitender Reife.

Mit der neuen Sehhilfe, die seither auf meiner Nase sitzt, auf dem Schreibtisch liegt, im Bett neben mir auf einem Buch schläft oder sich sonst wo versteckt, hat ein neuer Lebensabschnitt begonnen – ein ständiges Auf und Ab. Fünf Prozent meiner wertvollen Restlaufzeit vergeude ich nun damit, das Nasenfahrrad zu suchen. Und weil ich nicht immer fündig werde, fahre ich schon mal ohne Brille zum Einkaufen, was sich allerdings als schlimmer Fehler erwiesen hat.

An der Kasse sitzt eine 18 Jahre alte Göre. Sie hat es natürlich eilig. Kurz angebunden fragt sie: „Haben Sie 20 Cent klein?” Ich beginne blind, aber erfolglos im Kleingeld-Fach zu wühlen. Darauf sie ungeduldig: „Soll ich Ihnen helfen?” „Mein Gott, nein!”

Die Kassen-Göre will doch tatsächlich in meinem Portemonnaie kramen. Sehe ich etwa aus wie 90? Nein! Wütend knalle ich ihr einen Fünfziger hin und schwöre mir, diesen Supermarkt nie wieder zu betreten – jedenfalls nicht ohne Brille!