Wie Handballerin Josephine Techert vom Buxtehuder SV Training und Job bei der Reederei NSB unter einen Hut bringt

Die Treppe neben der historischen Destillerie führt vom Foyer der Buxtehuder Reederei NSB in den ersten Stock. Dort hinauf geht Josephine Techert zu ihrem Büro: Fünf Plätze gibt es, Schreibtische, Computer, Telefone und Aktenschränke. Drei Kolleginnen sitzen dort, der Platz des Kollegen ist frei. Er ist im Elternurlaub. Auf den Tischen liegen Unterlagen von Ein-Schiffs-Gesellschaften, die monatlich abgerechnet werden. „Ich bin für zehn Schiffe zuständig, von der Bordkasse bis zur Bilanz“, sagt die Bürokauffrau. Eine Arbeit, die Konzentration und penible Genauigkeit erfordert, gerade in Zeiten, in denen die Margen in der Schifffahrt knapp sind. 24 Stunden pro Woche prüft Techert Bücher, während ihr Blick auf Hof und Parkplatz der Reederei fällt, deren Flotte zu den größten weltweit zählt.

Keine Frage: Nur wenige in Buxtehude dürften wissen, dass Techert für die ortsansässige Reederei arbeitet. Fast alle in der 40.000-Einwohner-Stadt aber wissen, wo sie sonst zu finden ist: In der Halle Nord, wo ihr bis zu 1500 Zuschauer zujubeln, Fan-Clubs ihre Trommeln am Spielfeldrand schlagen und Sprechchöre die Namen der Spielerinnen skandieren. Seit Oktober 2010 spielt die 27-Jährige im Rückraum der Handball-Bundesliga-Mannschaft des Buxtehuder Sportvereins (BSV). Sie blockt in der Abwehr mit hochgereckten Armen am Kreis Gegnerinnen ab. Und die Wucht, mit der sie bei Sprungwürfen Tore erzielt, mag man ihr im Büro kaum zutrauen. Auch die Tränen nicht, die sie nach der Niederlage im Europapokal am vergangenen Wochenende in Budapest vergoss. Doch die sind längst getrocknet. Die NSB-Mitarbeiterin wirkt gelassen, flachst mit ihrem Chef, Helmut Ponath. Für ein paar Tage ist der Alltag zurück.

Alltag, das heißt an vier Tagen der Woche Arbeit von 8 bis 14 Uhr. Der Mittwoch ist frei. Die Zeiten passen zum Training täglich von 18 bis 20 Uhr. Stehen Auswärtsspiele wie in Ungarn an, muss Techert unbezahlten Urlaub nehmen oder die ausgefallene Zeit nacharbeiten. „Wenn solche Termine anliegen, kann ich aber immer gehen und an einem anderen Tag entweder länger bleiben oder früher anfangen“, sagt sie. Ins Büro muss sie aber in jedem Fall. Ein Online-Arbeitsplatz zu Hause ist in ihrem Bereich nicht vorgesehen. Dabei sind Reederei-Chef Ponath Leistungssportler als Mitarbeiter willkommen. „Bei ihnen hört der Ehrgeiz außerhalb von Training und Spielen nicht auf“, ist er sicher.

Bereits im August 2005 hatte die erste Bundesliga-Handballerin bei der NSB begonnen. Joanna Kern, die jahrelang wie Techert im Rückraum spielte, absolvierte ihre Lehre zur Reedereikauffrau bei Ponath und arbeitet heute in der Versicherungsabteilung des Unternehmens. Derzeit lernt Kreisläuferin Isabell Kaiser bei der Schifffahrtsfirma. „Wer bei uns einen guten Abschluss macht, hat bei Bedarf auch gute Chancen übernommen zu werden“, sagt Ponath. Das gelte für die Handball-Frauen, aber auch für alle anderen Auszubildenden. Eines stellt er sofort klar: „Auch die Sportler bekommen nichts geschenkt.“ Immerhin: Wenn Vereins-Geschäftsführer Peter Prior anruft, hat Ponath ein offenes Ohr für Spielerinnen, die einen Job suchen.

Auf den Job folgt für die Bundesliga-Mannschaft das Training. Jeden Abend. Dazu möglichst drei Mal die Woche morgens ab 8.30 Uhr bis zu eineinhalb Stunden individuelle Kraft- und Wurfübungen oder Waldläufe. Dabei gleicht der BSV bei Techert die Einbußen aus ihren reduzierten Arbeitsstunden finanziell aus. „Mein Einkommen stammt je zur Hälfte aus dem Verdienst und dem Geld vom Verein. Beide Verträge haben wir unabhängig voneinander vereinbart“, sagt sie.

Was zusammenkommt, beziffert sie nicht. Nur so viel: Ihr Auto und das Benzin werden gestellt, die Sportschuhe obendrein. „Das ist natürlich Verhandlungssache und hat etwas mit der Leistung zu tun“, sagt sie. Ohne Zweifel gehört sie zu den Stützen der Mannschaft und auch Ponath ist zufrieden. „Sie macht gute Arbeit.“

Angefangen hat alles mit acht Jahren, in der 3. Klasse. Techerts erste Trainerin in Potsdam ist ihren Klassenlehrerin, eine Bekannte ihrer Mutter, die selbst bis zum Alter von 19 Jahren im Handballtor spielte. „Ich wollte mich immer bewegen, beim Fußball, in der Leichtathletik und beim Handball. Irgendwann überschnitten sich die Trainingszeiten und weil ich gerade keine Fußballschuhe hatte, bin ich beim Handball geblieben“, erzählt Techert im Besprechungsraum der NSB-Geschäftsführung. Mit zwölf Jahren wechselt sie nach Frankfurt/Oder auf eine Sportschule, mehr als 100 Kilometer oder über eineinhalb Stunden mit dem Zug von ihrer alleinerziehenden Mutter und ihren drei Schwestern entfernt. „Es war mein größter Wunsch. Ich war schon damals ehrgeizig“, sagt sie. Mit dem Frankfurter Handball Club (FHC) wird sie in der A-Jugend 2004 und 2005 Deutscher Meister und handelt sich ihren ersten Kreuzbandriss ein. Dazu besteht sie in der Stadt das Abitur, Durchschnittsnote 1,8.

Es folgt der Wechsel in die Zweite Liga nach Celle, wo im vierten Jahr der Aufstieg in die Bundesliga gelingt. Allerdings bleibt zu wenig Zeit für das Lehramtsstudium für Sport und Deutsch in Hannover. Dafür verkürzt sie ihre Lehre auf zwei Jahre und kann später in Buxtehude bei der NSB in ihrem Beruf einscheren. Weil Celle gleich wieder absteigt, wird Techert vom BSV umworben. Es kommen Anrufe, eine Einladung zum Training, dann der Wechsel. Seitdem war das Team mit Techert Deutscher Vize-Pokalsieger, Deutscher Vize-Meister und spielt international. Freizeit bleibt kaum. „Aber ich habe nichts vermisst. Der Sport gibt mir Sicherheit, ich hatte immer Freunde in den Mannschaften und habe gelernt, diszipliniert zu arbeiten und Termine einzuhalten“, so die junge Frau.

Selbst Trainer Dirk Leun hält es für besser, wenn Spielerinnen sich nicht allein auf den Handball konzentrieren. „Job und Sport lassen sich verbinden, aber es muss auch ein wenig Freizeit übrig bleiben“, sagt der 49-Jährige mit jahrzehntelanger Erfahrung, der 2008 mit den weiblichen Junioren Weltmeister wurde und Buxtehude in der sechsten Saison trainiert. Der Spagat sei schon deshalb nötig, weil sich Frauen mit ihrem Sport keine Lebensgrundlage schaffen könnten. Immerhin: Josi, wie Techert im Verein genannt wird, habe wohl die „ideale Balance zwischen Arbeit und Sport gefunden.“

Allerdings hat vor allem der zweite Kreuzbandriss, durch den sie bis Oktober 2013 rund 13 Monate aussetzen musste, Spuren hinterlassen. Noch heute trainiert Techert nur drei Mal pro Woche und hütet ihre Knie vor zu hohen Belastungen durch den harten Hallenboden. „Solche Verletzungen rücken das Leben ins rechte Licht“, sagt sie. Für ihre künftige Karriere plant sie deshalb vorsichtig. Ihr Vertrag mit dem Verein läuft noch bis zum Ende der kommenden Saison. „Was danach wird, hängt von meiner Gesundheit ab.“

Seit dem Herbst wieder genesen freut sie sich über jedes Spiel, das sie antreten kann: Die Momente, wenn die Fans jubeln, wenn sie das Team anfeuern. Aber im Mittelpunkt des Interesses möchte sie dennoch nicht stehen. Aus Selbstschutz. Weil sie erfahren hat, wie schnell sich die Stimmung drehen kann. „Lob und vor allem Kritik von Menschen, die ich nicht kenne, lasse ich nicht mehr so dicht an mich heran“, sagt Techert und erinnert sich wohl für einen kurzen Moment daran, wie es war in Budapest.

Die Niederlage mit neun Toren Unterschied gegen den ungarischen Handball-Club Erd will das Team am heutigen Sonnabend wettmachen. Das wird schwer. „Aber es gibt immer ein Chance und sie wird kommen“, sagt Techert mit ihrer Erfahrung von knapp 20 Jahren. Helfen wollen dabei wohl 1500 Menschen. Nur ihr Freund, den sie vor sechs Monaten kennen lernte, wird nicht dabei sein. Er läuft wenig später in der 2.Liga bei Bad Schwartau zum Heimspiel gegen die TSG Friesenheim auf.