Die Frauen des Chors „Halbe Lunge“ haben zwei Dinge gemeinsam: Lungenkrebs und Spaß am gemeinsamen Singen

Harburg. Sie nennen sich „Halbe Lunge“. Im ersten Moment mag der Name für einen Chor, in dem ausschließlich akute oder ehemalige Lungenkrebs-Patienten singen, makaber klingen. Mit ihrer Namenswahl wollen die Chormitglieder aber ein klares Zeichen dafür setzen, dass sie sehr wohl in der Lage sind, mit der nötigen Portion Ironie ihre Krankheit zu meistern. Manche von ihnen aber haben in der Tat im Verlaufe der Krankheit zumindest Teile eines Lungenflügels durch Operationen eingebüßt.

Die Frage nach der Mitgliederzahl dieses besonderen Chors, der Ende letzten Jahres bei der Einweihungsfeier des ersten Harburger Hospizes im Blättnerring auf der Bühne stand, sagen sie, lasse sich nicht so einfach beantworten. „Naja“, sagt Ortrud Schmidt-Wellhausen, „die Zahl unserer Chorsängerinnen schwankt naturgemäß“. In der Regel singen zwischen fünf und sieben Frauen derzeit in dem Chor. Allerdings fallen immer mal wieder Sängerinnen aus. Wenn sie beispielsweise gerade eine Chemotherapie über sich ergehen lassen müssen – oder den Kampf gegen den Krebs verloren haben.

Gegründet hat sich der Chor vor fünf Jahren aus einer Selbsthilfegruppe für Lungenkrebs-Patienten heraus. Und die Mitglieder des Chors verbindet nicht nur die Diagnose und der Spaß am gemeinsamen Singen. Vielmehr ist das Singen für sie so etwas wie eine medizinische Notwendigkeit. Denn Singen ist Gymnastik für die Lunge, oder das, was von ihr noch übrig geblieben ist. Viele Patienten müssen sich im Verlaufe der Krankheit mehreren Operationen unterziehen. Im Bemühen, den Krebs zu besiegen, entfernen die Ärzte befallene Lungenteile. Der Rest der Lunge muss trainiert werden, und da ist Singen die beste Medizin.

Beim Singen pumpen die Sänger die Lunge auf, damit die Lungenflügel mit Sauerstoff versorgt werden. Die Lungenflügel müssen sich dehnen. Je länger gesungen wird, um so tiefer müssen die Sänger atmen. Und die erhöhte Sauerstoffzufuhr, das sagen die Frauen von „Halbe Lunge“, mache nach der zweistündigen Probe geradezu euphorisch. Sie entspannen von dem Stress mit dem Krebs und können für einen Abend in der Woche ihre Krankheit, die ansonsten zumeist große Teile des Alltags bestimmt, vergessen.

Bei Birgitta Maaßen hat es einige Zeit gedauert, bis sie sich nach ihrer Diagnose und der anschließenden Behandlung dazu aufraffen konnte, dem Chor beizutreten. Vor drei Jahren stellten die Ärzte bei der Harburgerin Lungenkrebs fest. Der Tumor in der Lunge, sagt sie, sei inoperabel. Metastasen hätten sich im Kopf und in den Knochen gebildet. Vor ihrer Erkrankung habe sie im Chor in ihrer Harburger Kirchengemeinde gesungen. „Musik hat mich emotional immer sehr berührt, aber nach meiner Diagnose wäre ich nicht in der Lage gewesen, hier mitzusingen. Wenn ich Musik hörte, brach in mir eine große Trauer aus. Ich bekam regelrecht Weinkrämpfe“, sagt Birgitta Maaßen. Von dem Chor, der sich alle 14 Tage zum Proben mit seiner Chorleiterin Theresia Haarmeyer trifft, hat Maaßen in ihrer Selbsthilfegruppe erfahren.

Inzwischen, sagt die Harburgerin, mache ihr das Singen wieder Spaß. „Wir tanken bei den Proben Kraft, und die Krankheit bleibt für zwei Stunden einfach außen vor“, sagen die Frauen, die sich über männliche Mitsänger freuen würden. Einzige Voraussetzung neben einer passablen Stimme: Auch die neuen Chormitglieder müssen an einer Lungenerkrankung leiden. Inzwischen hat sich südlich wie nördlich der Elbe bereits herum gesprochen, dass die „Halbe Lunge“, auch wenn sie von Haus aus auf Gospels spezialisiert ist, ein reiches Repertoire bei ihren Auftritten zum Besten gibt. Die Mitglieder des Chors legen Wert auf die Feststellung, sie seien keine Profisänger. Trotzdem beeindrucken die Frauen bei ihren Auftritten. Und sie gehen in ihrem Gesang und bei der Auswahl an Liedern erfrischend normal mit dem Thema Tod um. Die Veranstaltungen, zu denen die „Halbe Lunge“-Damen eingeladen werden, haben zumeist einen Bezug zu ihrem Chornamen. Aufgetreten sind sie nicht nur im Harburger Hospiz, sondern auch schon im Lungenkrankenhaus in Großhansdorf (Schleswig-Holstein), bei Veranstaltungen der Hamburger Krebsgesellschaft oder beim Lungentag im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE).

„Ich ziehe durchaus auch positive Seiten aus meiner Krankheit. Dazu gehört natürlich das gemeinsame Singen mit den anderen, aber auch ganz stark mein Glaube“, sagt Birgitta Maaßen, die inzwischen in Harburg eine eigene Lungenkrebs-Selbsthilfegruppe führt. Man lerne mit dieser Krankheit, mehr Zeit für sich in Anspruch zu nehmen, sagt sie. Jeder gehe anders mit seiner Krebserkrankung um. „Für mich bedeuten die Proben einfach auch eine Abwechslung. Sie zwingen mich, aus dem Sessel zu kommen, aktiv zu werden und Atemgymnastik zu machen. Mal ganz abgesehen davon, dass es mir natürlich auch Spaß macht“, sagt Manuela Tarkovzadeh-Asselmeyer. Sie legt Wert darauf, dass sie „Lungenkrebs hatte. Die Krankheit ist geheilt. Das klingt für mich einfach lebensbejahend", sagt die Frau, die in der Nähe von Salzhausen im Landkreis Harburg lebt.

Wer Lust hat, bei der „Halben Lunge“ mitzusingen und die Voraussetzungen erfüllt, kann sich bei Birgitta Maaßen (Tel.: 7908397) informieren.