Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt ist besorgt über die hohe Zahl der Berufsabbrecher in der Pflege.

Wegen der schlechten Bedingungen bleiben im Schnitt Pflegerinnen und Pfleger nur fünf Jahre ihrem Beruf treu. Die Gründe dafür sieht die Ministerin in den zu geringen Pflegesätzen und Löhnen. Dazu komme ein hoher bürokratischer Aufwand. Der Präsident des Diakonischen Werks in Deutschland, Johannes Stockmeier, sorgt sich ebenfalls. Um die zu hohe Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden. Er fordert „Die Pflege nach Stoppuhr muss weg!“

Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“ geht noch viel weiter. Er fragt: Verletzt der Staat mit dem Notstand der Pflege das Grundgesetz? Das Grundgesetz messe der Menschenwürde einen sehr hohen Stellenwert bei. Es gehe nicht an, die Alten als nicht mehr nützlich für die Gesellschaft abzustempeln und sie ihrer Würde zu berauben. Ich sage dazu: Eine Gesellschaft, die sich nicht angemessen um ihre Kranken kümmert, ist selbst krank.

Meine Informationen über die Situation in der häuslichen Krankenpflege in unserer Region klingen weniger dramatisch. Von einem gravierenden Pflegenotstand höre ich nichts, wohl aber von Problemen. Ortrud Panny, die ihren „Ärztlichen Pflegedienst Süderelbe“ 1992 gegründet hat, beschäftigt 100 Mitarbeitende für 200 Patienten. Deren Zufriedenheit sei offiziell gemessen worden und sehr gut. Die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiterinnen sei durch die extrem anstrengende Arbeit vor allem bei Langzeitpatienten und psychisch Kranken nicht so gut. Und dazu „die Bürokratie ohne Ende“!

Ein Problem sei die Kostenerstattung für die Grundpflege, für Waschen, Duschen, Anziehen. Sie setzt dafür auch examinierte Krankenschwestern ein, weil es selten allein um die Grundversorgung geht, sondern um die medizinische Versorgung. Für die Grundversorgung, die zwischen 20 und 50 Minuten dauern kann, erhalte sie nur 17 bis 20 Euro.

Der Geschäftsführer der Diakoniestiftung Alt-Hamburg, Hans-Joachim Lukas-Schmidt, will von Pflegenotstand nichts wissen. Eine starke Fluktuation der Mitarbeitenden kennt er nicht. Die Verhandlungen mit Kostenträgern haben einen ausreichenden Stellenschlüssel für das Personal ergeben. Sie seien den Einrichtungen sehr weit entgegengekommen. Das Anfangsgehalt von Fachkräften liege bei 2600 Euro. Gute Bezahlung verhindere den Berufsabbruch. Kritisch merkt er aber an, dass für die persönliche Betreuung, für Gespräche und Zuhören, keine Zeit sei. Aber das war schon in den 70-er Jahren so. 1974 habe ich die erste Ökumenische Sozialstation in Schleswig-Holstein in Kiel gegründet. Vorher hatte ich mit Krankenkassen verhandelt. Mein Ziel: Gespräche und Seelsorge müssen in den Leistungskatalog aufgenommen und bezahlt werden. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass für das positive Lebensgefühl und die Gesundung Zeit für die persönliche Zuwendung genauso wichtig ist wie die medizinische Behandlung. Für meine Forderung habe ich damals nur ein müdes Lächeln erhalten.

Ilona Pahl, Leiterin des Johanniter-Pflegedienstes Harburg, sieht die Situation kritisch. Das Arbeitsklima sei gut. Aber für die älteren Mitarbeiterinnen gehe die Tätigkeit sehr auf den Rücken. Sie selbst habe zwei Bandscheibenvorfälle gehabt und könne nicht mehr aktiv pflegen. Sie bekräftigt, dass die Bezahlung in den Pflegeberufen allgemein nicht angemessen ist. Bei Schwerstpflegebedürftigen gebe es ein Problem. Die müssen zu den Leistungen der Pflegeversicherung zuzahlen, sofern Angehörige nicht in Anspruch genommen werden können. Das aber können die meisten Älteren nicht leisten. Frau Pahl rät deshalb Jüngeren, eine private Pflegeversicherung abzuschließen.

Ole Bernatzki vom „Ambulanten Hauspflege Dienst“ für Jesteburg, Seevetal und Tostedt hat 105 Mitarbeitende. Um einem „hausgemachten Pflegenotstand“ vorzubeugen, bildet er seit 1998 Fachkräfte aus. Zurzeit sind es 13. Sehr vorausschauend!

Unbedingt ist festzustellen, dass – immer noch! – dreiviertel der Pflegebedürftigen in ihren Familien versorgt werden. Da wird Erstaunliches geleistet! Aber da heute alle älter werden und weniger Kinder geboren werden, wird sich die Pflegesituation verschärfen. Heute werden in Niedersachsen 275.000 Menschen gepflegt. 2050 werden es 480.000 sein. Für 2030 errechnet man, dass 50.000 Pflegekräfte fehlen werden. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Pflegeberufe attraktiver werden müssen. Und junge Menschen besser bezahlt werden. Nur so werden alle Pflegekräfte mehr gesellschaftliche Anerkennung finden. Nach dem biblischen Satz: „Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert.“ Oder nach dem vierten Gebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ – das heißt aber auch alle alten und kranken Menschen.