Schüler des Albert-Einstein-Gymnasiums Buchholz und des Hittfelder Gymnasiums recherchierten für Seminarfach

Buchholz/Hittfeld. Unvergessliche Erinnerungen, zig neue Facebook-Freunde und ein Heiratsantrag – die Bilanz der Indienfahrt des Buchholzer Albert-Einstein-Gymnasiums (AEG) und des Hittfelder Gymnasiums kann sich sehen lassen. Eine Woche lang sind 23 Schüler des elften Jahrgangs der beiden Schulen in dem fremden Land gewesen, um für ihr Seminarfach „Südindien erleben“ Informationen vor Ort zu sammeln. Nach ihrer Rückkehr müssen viele von ihnen erkennen, dass längst nicht alles so war, wie sie es sich vorgestellt hatten.

Zum Beispiel die Armut. „Ich hatte immer so ein Bild vor Augen, dass Menschen tot oder verletzt auf der Straße liegen und sich niemand um sie kümmert“, sagt die Buchholzer Schülerin Anna, 16. In Kerala, einer Region im Südwesten des Landes, hätte sie danach lange suchen müssen. Lediglich eine Handvoll Obdachlose habe sie gesehen, sagt sie. AEG-Schulleiter Hans-Ludwig Hennig begründet es damit, dass Kerala als Vorzeigeregion gilt und es dort anders als in den riesigen Metropolen keine so krassen Unterschiede zwischen Arm und Reich gibt. Auch habe dort fast jeder ein Handy, einen Computer oder einen Fernseher besessen, berichtet Luisa, 17, aus Hittfeld. Damit hätte sie nicht gerechnet in einem Land, in dem mehrmals am Tag der Strom ausfällt und es für sie aufgrund der schlechten hygienischen Verhältnisse sogar zu gefährlich gewesen wäre, bei Gastfamilien zu wohnen.

Um auf Nummer sicher zu gehen, haben der Buchholzer Schulleiter und sein Hittfelder Kollege Stefan Weinreich entschieden, dass die Jugendlichen und sie lieber im Hotel wohnen. Von dort aus starteten sie zu ihren jeweiligen Partnerschulen in der 40.000-Einwohner-Stadt Kattappana – beim AEG ist das die Ossanam School und beim Hittfelder Gymnasium die Auxilium School –, verfolgten dort den Unterricht, fuhren mit dem Bus in die Berge der Westghats und recherchierten für ihre Seminararbeiten. Die Themen reichten von der Rolle der Frau und der Familienstruktur über die Bedeutung von Schminke und Henna bis zur Organisation der Landwirtschaft.

Anders als im vergangenen Jahr, als die Buchholzer zum ersten Mal und noch ohne die Hittfelder nach Indien gefahren waren, stand diesmal ein Besuch bei indischen Familien auf dem Programm. Zu zweit oder zu dritt wurden die Jugendlichen von den Familien abgeholt und gingen mit ihnen nach Hause. Martin Cherian von der Deutsch-Indischen Gesellschaft in Winsen, der bereits die Indien-Premiere der Buchholzer vor einem Jahr begleitet hatte und auch diesmal wieder dabei war, hatte mit den Familien vorab geklärt, welche Programmpunkte mit den europäischen Gästen überhaupt möglich sind. „Unter anderem hat er ihnen gesagt, was für Essen sie anbieten können und was lieber nicht“, sagt Hennig. Auch hier galt: kein Risiko. Nur so konnte der Schulleiter gewährleisten, dass am Ende alle Schüler gesund nach Deutschland zurückkehren.

Bei den Jugendlichen ist vor allem der Nachmittag in den Familien fest im Gedächtnis verankert geblieben. „Sie haben uns Bananen angeboten, nur leider hatten wir kurz vorher noch was anderes gegessen“, erzählt Anna, die gemeinsam mit Alina, 16, in einer Familie war. Danach mussten sich die Mädchen unbedingt den Garten und die Spielsachen der Kinder anschauen. Marlene, 16, bekam in ihrer Familie sogar einen extra-einstudierten indischen Tanz geboten. „Danach wollten sie, dass wir ihnen ein typisches deutsches Lied vorsingen“, sagt sie und fügt glucksend hinzu: „Wir haben uns für ,Alle meine Entchen’ entschieden.“

Auch die zahlreichen Vergewaltigungen, mit denen Indien in jüngster Zeit immer wieder in die Schlagzeilen geriet, wurden thematisiert. Tim, 17, und Marcel, 17, aus Hittfeld waren in einer Familie zu Gast, in der auch ein etwa gleichaltriger Junge lebte. Als sie mit ihm zu einem kleinen Spaziergang auf einen nahen Berg aufbrachen, konnte er frei sprechen. Er habe ihnen erzählt, dass einer der Gründe für die Vergewaltigungen sei, dass die jungen Männer nicht selbstständig eine Partnerin suchen könnten, sondern Ehen arrangiert werden, erzählt Tim. Andere Schüler wiederum hörten die Erklärung, dass viele Männer denken würden, sie bekämen keine Freundin mehr ab, da der Anteil der Männer im Land größer sei als der der Frauen. „Die Vergewaltigungen rücken jetzt einfach stärker ins Bewusstsein“, sagt Schulleiter Hennig. Die Enge in den Familien, die Landflucht, die traditionellen Strukturen und die Moderne, all das pralle aufeinander. Orientierung falle schwer. „Die jungen Männer meinen dann anscheinend, sich mehr herausnehmen zu können.“

Angst hätten sie dennoch nicht gehabt, versichern die Mädchen in der Gruppe. „Wir sind auch nie alleine irgendwohin gegangen“, sagt die Hittfelder Schülerin Miriam, 16. Im Gegensatz zu den Jungs erlebte sie bei Fragen nach Liebe und Heirat ein großes Schweigen. Sie habe zur Rolle der Frau recherchieren wollen, aber hatte Mühe, überhaupt an Informationen zu kommen. „Da wurde gleich abgeblockt.“ In Indien sei das Sprechen über solche Dinge anscheinend bei vielen tabu. Trotzdem könnte sie sich vorstellen, noch einmal in das riesige Land zu reisen. „Die Familie hat mich nochmal eingeladen und würde sich über meinen Besuch sehr freuen.“ Die Gastgeber versicherten ihren Gästen immer wieder, wie schön sie den Nachmittag fanden und was für ein besonderes Ereignis er für sie war.

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland haben fast alle Buchholzer und Hittfelder Schüler von den indischen Jugendlichen Freundschaftsanfragen über Facebook bekommen. Das Interessante daran: Wenn es eine Anfrage gab, schlossen sich gleich die Freunde der indischen Gastgeber mit weiteren Anfragen an. So kam auch bei einer Schülerin der durchaus ernst gemeinte Heiratsantrag zustande. Dass sie darauf eingehen wird, ist eher unwahrscheinlich. Für sie und ihre Mitschüler steht jetzt erst einmal die Seminararbeit über die Indienreise im Vordergrund, die in den kommenden zwei Monaten geschrieben werden muss. Dass im kommenden Jahr erneut ein Jahrgang aus Hittfeld und Buchholz gen Osten aufbrechen wird, steht ebenfalls schon fest.