Musikpädagoge Dimitar Georgiev aus Bulgarien passt so gar nicht in das Bild, das Zuwanderungskritiker zeichnen

Wilhelmsburg/Neugraben. Am meisten musste sich Dimitar Georgiev an das Wetter in Deutschland gewöhnen. Für einen Bulgaren ist es einfach lausig kalt hier. Der 33-Jährige stammt aus Burgas am Schwarzen Meer, der Hafenstadt am Sonnenstrand. Auf disziplinierte Weise hat er sich an die Temperaturen angepasst, nach und nach weniger Pullover und dicke Jacken angezogen. Heute wundern sich sogar seine deutschen Freunde, wenn er selbst im Winter weniger Kleidung am Leib hat als sie selbst. Textilselbstentzug – so kann Integration auch aussehen.

Seit mehr als drei Jahren lebt und arbeitet der studierte Musiker und Musikpädagoge in Deutschland. Damit passt der Wahlhamburger von der Elbinsel Wilhelmsburg so gar in das Bild der Debatte über einen vermeintlichen Missbrauch des Sozialsystems. Die kleine Regierungspartei CSU hat sie befeuert und die Bulgaren in Misskredit gebracht. Der Lebenslauf von Dimitar Georgiev bestätigt vielmehr eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, der zufolge Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänen überdurchschnittlich häufig hoch qualifiziert seien und dem deutschen Arbeitsmarkt gut täten. Das Kulturhaus Süderelbe in Neugraben jedenfalls freut sich über die Kapazität in seinem Dozententeam. Ab diesem Jahr wird Dimitar Georgiev im Kulturhaus Saxofon und Klarinette unterrichten. Wer will, auch bis zur Hochschulreife.

Auswirkungen der Diskussion um Missbrauch des Sozialsystems, die die komplette Bevölkerung Bulgariens in Sippenhaft zu nehmen scheint, spürt Dimitar Georgiev nicht. Nur einzelne Menschen reagierten distanziert, wenn sie erfahren, dass er Bulgare sei. Manche Medien bauten Szenarien auf, in denen unterstellt wird, dass unzählige Armutsflüchtlinge in den nächsten Bus nach Deutschland stiegen, um dort vom Sozialsystem zu profitieren. Dieses Klischee sei unhaltbar, sagt der Musikpädagoge.

Dimitar Georgiev hält es für wenig wahrscheinlich, das seine Landsleute in Scharen ihre Heimat verlassen, um in Deutschland von Hartz IV zu leben. Die Einkommen sind zwar gering in dem ärmsten EU-Land. Viele berufstätige Bulgaren verdienen kaum mehr als 300 Euro im Monat. Im Gegensatz zu Deutschland ist es aber nicht üblich, zu Miete zu leben. Bulgaren sind meist Eigentümer ihrer Wohnungen. „Meine Freunde in Bulgarien zieht es nicht nach Deutschland, um sich eine neue Existenz aufzubauen“, sagt der 33 Jahre alte Akademiker. Das gilt für die Akkordeon-Dozentin an seiner früheren Musikhochschule. Und auch für seine ältere Schwester, die als Buchhalterin arbeitet. „Obwohl sie in Deutschland mindestens das Fünffache verdienen könnte“, sagt er.

Für einen Künstler gehört die Bereitschaft zum Ortswechsel zum Beruf. Nachdem er das Musikgymnasium in seiner Heimatstadt Burgas absolviert hatte, nahm Dimitar Georgiev sein Studium an der Musikakademie in Plovdiv auf. Er lernt, die Instrumente Saxofon, Klarinette und Klavier professionell zu spielen. Nebenbei arbeitet der Student als Musikredakteur für eine Rundfunkanstalt und spielt zum Spaß Keyboard in einer Rockband. Ende 2005 erhält Dimitar Georgiev sein erstes Auslandsengagement – als Saxofonist in der Hausband des Fünf-Sterne-Luxushotels Grand Hyatt in Dubai. Drei Jahre später kehrt er nochmals als Mitglied der „Emotion Band“ in das Wüstenemirat zurück.

Die Aussicht auf ein Halbjahresengagement führt den Saxofonisten und Klarinettisten schließlich vor dreieinhalb Jahren nach Deutschland. Kontaktböse war die Akademie in Plovdiv. Eine befreundete Musikerin fragte ihn, ob er in einem Trio regelmäßig spielen wolle. Der Künstler sagt zu – und gelangte so als Tanzteemusiker in das Kurhaus in Bad Bevensen. An sechs Tagen in der Woche immer gut gelaunt zum Tanz aufzuspielen, bedeutet harte Arbeit, aber eben auch ein regelmäßiges Einkommen. Der Bulgare verlängert seine Engagements in Bad Bevensen und Bad Teinach-Zavelstein im Nordschwarzwald noch einige Male.

Das Leben als Pendler zwischen den Kurhäusern verlangt seinen Tribut. „Ich wollte länger an einem Ort bleiben, Leute kennenlernen, Freunde haben“, sagt Dimitar Georgiev. Er baut sich eine Existenz in Hamburg auf, auch, weil Bekannte hier ihm bei der Wohnungssuche helfen. Auch Bulgarien haben Vorurteile: Bekannte hätten ihm die Deutschen als „distanziert und kühl“ beschrieben. Dimitar Georgiev gewinnt einen anderen Eindruck: „Auf mich wirken die Leute freundlich.“

Der Wahlhamburger arbeitet heute als Musikpädagoge. Er unterrichtet an der Ganztagsschule in Büchen, an einer Grundschule bei Büchen und ist Dozent für Saxofon und Klavier an der Yamaha Music School in Eppendorf. Dort plant er noch ein Orchesterprojekt.

Privat hört der 33-Jährige gerne Funk und Fusion. Manchmal legt er als DJ bei Geburtstagsfeiern auf. Die Ausflüge in die Clubszene will der studierte Musiker intensivieren – mit einer in der DJ-Zunft revolutionären Idee: „Erst spiele ich live Saxofon“, sagt Dimitar Georgiev, „anschließend lege ich Musik auf.“