Der Sportverein ist heute sozialer Dienstleister, betreibt einen Jugendklub und betreut nachmittags die Kinder in sechs Ganztagsschulen

Harburg. Der Vizepräsident des Harburger Turnerbundes kann sich in diesen Tagen so Richtung in Rage reden: Ob Sportvereine bloß kostengünstige sozialpolitische Reparaturbetriebe des Staates seien, fragt Klaus Buchholz und sieht das von Politikern beschworene ehrenamtliche Engagement nicht genug gewürdigt. Was ihn so verärgert: Der Bezirk Harburg hat ersatzlos seine Ausgleichszahlungen für das Programm „Kids in die Clubs“ gestrichen, das Kindern aus einkommensschwachen Familien die beitragsfreie Mitgliedschaft im Sportverein ermöglicht. Allein im Harburger Turnerbund (HTB) sind 212 Jugendliche betroffen. Der Verein muss ab diesem Jahr 10.000 bis 12.000 Euro zusätzlich aufbringen, damit die Kinder bleiben können. „Wir gehen jetzt bei Sponsoren und Mitgliedern betteln“, sagt Klaus Buchholz und verspricht: Keines der 212 Kinder müsse den Verein verlassen.

In Hamburg ermöglicht das Programm „Kids in die Clubs“ etwa 8000 Jugendlichen, in einem Sportverein zu trainieren und sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen. Damit jedes Kind in Deutschland den Mitgliedsbeitrag zu einem Sportverein bezahlen kann, hat die Bundesregierung das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket geschaffen. Zehn Euro pro Monat stehen jedem Kind aus einkommensschwachen Familien zu. In manchen Sportvereinen ist der Mitgliedsbeitrag aber höher, so auch im HTB. Bisher hat der Bezirk Harburg die Differenz mit Zuschüssen ausgeglichen - seit diesem Jahr nicht mehr.

Der HTB sei kein Sportverein wie jeder andere, erklärt Klaus Buchholz. Während andere Vereine meist städtische, also aus Steuern finanzierte Sportanlagen nutzten, habe der HTB sein Sportzentrum mit 4,6 Millionen Euro ohne den Steuerzahler zu belasten selbst finanziert. Das sei ein Grund, warum der HTB über zehn Euro hinausgehende Monatsbeiträge verlange. Die sehr hohe Anzahl von jugendlichen Mitgliedern ist ein weiterer Grund: 1200 der insgesamt 2200 Mitglieder sind jünger als 18 Jahre. Mehr Erwachsene wären besser für die Vereinskasse, denn sie brauchen weniger Betreuung und zahlen höhere Beiträge. Etwa die Hälfte der jugendlichen Sportler im HTB seien Migranten. So übernimmt der Turnerbund nebenbei die Integration verschiedener Kulturen im Stadtteil – eigentlich keine klassische Aufgabe eines Sportvereins, sondern die von Staat und Kirchen.

Ein Sportverein arbeitet überwiegend mit Ehrenamtlichen und damit deutlich günstiger als der Staat, der für seine Jugendamt Personal anstellen muss. Aus diesem Grund reagiert Klaus Buchholz so verärgert, dass der Bezirk die bisherigen Ausgleichszahlungen für soziales Engagement der Turnerschaft gestrichen hat. Große Sportvereine wie der Harburger Turnerbund sind heute längst nicht mehr nur Sportanbieter. Als Partner von Ganztagsschulen und Jugendämtern übernehmen sie zunehmend Aufgaben in der Stadteilentwicklung.

Der Hamburger Senat hat die Stadtteilentwicklung durch Sportvereine ist seiner sogenannten Dekadenstrategie als Ziel verankert. Das Strategiepapier zur Entwicklung der Hamburger Sportlandschaft bis in das Jahr 2022 sieht den Wandel von Sportvereinen zu sozial engagierten Stadtteilvereinen ausdrücklich vor.

Trotz aller Ehrenamtlichkeit erwirtschaftet der HTB 525.000 Euro Umsatz im Jahr, so dass Vergleiche mit einem mittelständischen Unternehmen nicht von der Hand zu weisen sind. Das Kerngeschäft der Turnerschaft ist heute längst nicht mehr auf Leibesübungen beschränkt. Der HTB ist sozialer Dienstleister, der im Stadtteil zu prominenten Anbietern der Branche wie dem Deutschen Roten Kreuz, der Caritas oder der Arbeiterwohlfahrt in Konkurrenz tritt.

So hätten es sich die Gründungsväter von 1865 nie träumen lassen, dass ihr Sportverein einmal einen Jugendklub betreuen würde. Im Stadtteil Eißendorf setzt der Bezirk Harburg nicht auf die in der Stadt üblichen Träger, sondern hat dem HTB den dortigen Jugendklub anvertraut. Sozialpädagogen und Erzieher helfen Kindern bei Hausaufgaben und kochen mit ihnen. Basketball, Fußball und Tischtennis wird auch gespielt. „Manchmal wird auch ein Talent für den Verein entdeckt“, sagt HTB-Geschäftsführer Torsten Schlage.

In einem gemeinsamen Projekt kümmern sich der HTB, die sozialpsychologische Betreuungsgesellschaft Margaretenhort, sowie die Schulen Dempwolffstraße und Ehestorfer Weg um Jungen und Mädchen, die zur Gewalt neigen. Warum engagiert sich HTB für problematische Kinder, die nicht einmal Vereinsmitglied sind? „Wir versuchen nicht nur unseren Jugendlichen zu helfen, das ist das Selbstverständnis unseres Vereins“, sagt HTB-Präsident Claus Ritter.

Ohne den HTB ginge auch bei der Ganztagsschulbetreuung in Harburg nur wenig: Der Sportverein geht mit seinen Trainern nachmittags in sechs Schulen des Stadtteil und macht insgesamt 21 Sportangebote. Der Trend zur Ganztagsschule bedeutet gleichzeitig eine Bedrohung der Sportvereine. Wenn Kinder bis 16 Uhr Sport an der Schule treiben, treibt die meisten kaum noch etwas zum Training in den Sportverein. Präsident Claus Ritter hält es zumindest nicht für abwegig, dass in Zukunft wie in den USA nicht mehr Vereine, sondern Schulen gegeneinander Fußball spielen werden.

Der HTB und die Schule Nymphenweg stellen die einzige Fußball-Mannschaft in Hamburg, in der zwölf bis 14 Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam spielen.

Im Ortsteil Bünte ist aber die Zukunft des sozialen Engagements ungewiss. Bisher bietet der HTB dort 60 bis 80 Kindern Schwimmen, Brettsport, Waldsport und Fußball an. Die Quartiersarbeit in Bünte, sagt Torsten Schlage, sei zurzeit nur bis zum Sommer genehmigt.