Harburg drohen Nachbarschaftskonflikte um Unterkünfte für Flüchtlinge. Willkommenskultur kann Schranken abbauen

Harburg. Als Aziz Aygün aus der Türkei nach Deutschland gekommen war, konnte er nicht verstehen, wie man so etwas wie Kartoffelsalat überhaupt essen kann. Heute isst der Diplom-Volkswirt und SPD-Integrationspolitiker aus Harburg die damals fremde, mayonnaisegetränkte deutsche Spezialität. Warum nicht Flüchtlingen mit Kartoffelsalat begegnen, schlägt er vor, und mit Nachbarschaftsfesten Vorurteile auf beiden Seiten abbauen. Der Deutsche Fußball-Bund hat bereits Ähnliches inszeniert: In einem TV-Werbespot für Integration, Respekt und Toleranz feiern die aus vielen Kulturen stammenden Eltern der Spieler der deutschen Nationalmannschaft zusammen ein Fest. Die am deutschesten aussehende Kicker-Mutter stellt – na, klar, – eine Schüssel voll mit Kartoffelsalat zum gemeinsamen Buffet.

Es geht um den Aufbau einer Willkommenskultur, das neue Lieblingswort deutscher Integrationspolitiker. Sie setzen es dem Begriff „Sozialtourismus“ entgegen, ein Wort, das der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) jüngst zum Unwort des Jahres erklärt hat. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat zwei Expertengruppen eingerichtet, die Vorschläge erarbeiten sollen, wie Deutsche auf Zuwanderer und Flüchtlinge zugehen können.

Eine kleine Geste wie die Schüssel Kartoffelsalat könnte viel bewirken – und könnte in Harburg Bedeutung erlangen. In dem Hamburger Bezirk drohen Nachbarschaftskonflikte um Flüchtlingsunterkünfte. Innensenator Michael Neumann (SPD) hat mit Anwohnern der Wohnunterkunft Wetternstraße, dem Containerdorf Lewenwerder und der geplanten Zentralen Erstaufnahme für Flüchtlinge in der Post am Harburger Bahnhof an einem Runden Tisch zusammengefunden. Weitere mögliche Standorte für Flüchtlinge geraten an die Öffentlichkeit: Offenbar soll das frühere Kulturhaus am Ehestorfer Heuweg in Hausbruch in Zukunft als Unterkunft für bis zu zehn Jugendliche dienen, die allein ohne Eltern nach Deutschland gelangt sind. Offen lässt das Bezirksamt Harburg noch die Frage, wo es eine vom Hamburger Senat geforderte zusätzliche Flüchtlingsunterkunft schaffen will.

Das Bild einer Flüchtlingsunterkunft in der Nachbarschaft ruft landauf landunter die gleichen Reaktionen hervor: Die Anwohner befürchten fallende Immobilienpreise, steigende Kriminalität, Gruppen fremder Menschen, die bis spät nachts auf der Straße herumlungern. Dass Deutsche ein beklemmendes Gefühl beschleicht, wenn sie großen Gruppen fremder Menschen auf der Straße begegnen, hat Aziz Aygün inzwischen gelernt. Er führt es auf eine individualistische Lebensart in Deutschland zurück. In vielen Kulturen sei das Auftreten in großen Gruppen dagegen völlig normal. Wüssten Deutsche das, denkt der SPD-Politiker, würden sie sich weniger fürchten.

Aziz Aygün, Vorsitzender des SPDDistriktes Harburg-Mitte, und Bernd Kähler, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Soziales und Integration der Harburger Bezirksversammlung, werben für den Aufbau einer Willkommenskultur. Die Idee: Wenn Anwohner, Zuwanderer und Flüchtlinge sich als Nachbarn begegnen, könnten Ressentiments abgebaut werden. Bernd Kähler, früherer Pastor an der St.-Trinitatis-Gemeinde, schlägt vor, eine beinahe in Vergessenheit geratene Geste wiederzubeleben: mit Brot und Salz neue Nachbarn zu begrüßen. Gute Erfahrungen könnten Vorurteile aus den Köpfen bannen: „Nicht jeder, der kein Geld hat, ist auch ein Dieb“, sagt Kähler. Aziz Aygün ist zuversichtlich, dass gemeinsame Straßenfeste von Anwohnern und Flüchtlingen die unterschiedlichen Kulturen zusammenbringen können.

Eine Willkommenskultur bedarf auch Strukturen. In Buchholz haben sich Bürger zusammengefunden, die sogenannte Unterstützungsgruppen für Flüchtlinge bilden wollen. Ideen, wie diese helfen könnten, gibt es viele: Eine Gruppe soll sich um die Sprachförderung kümmern. Andere Helfer begleiten die Neuankömmlinge zu Behörden und Ärzten. Gemeinsame Fußballspiele von Einhemischen und Flüchtlingen könnten die Nachbarschaft fördern. Der TSV Buchholz 08 stellt ein Boxtraining für Asylbewerber in Aussicht.

Aziz Aygün schlägt in Harburg vor, ein „Hilfsbüro“, so zunächst einmal der Arbeitstitel, aufzubauen. Ehrenamtliche Helfer könnten sich dort um Flüchtlinge und Zuwanderer kümmern, ihnen bei Behördengängen helfen, Tipps geben, wo man günstig einkaufen kann.

In Deutschland integrierte Migranten könnten helfen und einen Pool von ehrenamtlichen Dolmetschern bilden, der möglichst viele Sprachen abdeckt. Der SPD-Integrationspolitiker spricht Deutsch, Türkisch, Kurdisch und Aramäisch, das unter anderem in Syrien, im Libanon und in der Türkei gesprochen wird. Aziz Aygün hat sich vorgenommen, vier Stunden in der Woche für Flüchtlinge da zu sein.

Die ehrenamtliche Basis habe eine wichtige Funktion, sagt Bernd Kähler: Es sei wichtig, dass Flüchtlinge nichtstaatlichen Organisationen begegneten, weil sie häufig in ihren Herkunftsländern mit staatlichen Organisationen schlechte Erfahrungen gemacht hätten. Wo ein ehrenamtliches „Hilfsbüro“ in Harburg eingerichtet werden könne, ist offen. Darüber müsse man mit den Sozialpädagogen des Unterkunftbetreibers „Fördern und Wohnen“ noch sprechen. Ein Standort an der Zentralen Erstaufnahme sei nicht zwingend notwendig. Nur gut erreichbar müsse er sein.

Bernd Kähler ist realistisch genug, dass die meisten Anwohner genug mit ihrem eigenen Leben, dem Job und der Familie, zu tun haben, und sich nicht noch in ihrer Freizeit als Dolmetscher oder Festorganisator betätigen können oder wollen. Das bedeute aber nicht, dass sie ein Zugehen auf Flüchtlinge ablehnten. Bernd Kähler: „Eine gewisse Neugier und Akzeptanz anderer muss ein Helfer schon mitbringen.“