Die Marmstorfer Chronik ist eine Geschichte über das Leben der Menschen von der Steinzeit bis zur Moderne

Idyllisch sieht das Bild aus: Ein goßes reetgedecktes Bauernhaus mit roten Ziegeln und dunklem Fachwerk, versteckt hinter Bäumen, davor spiegelt sich das Blau des Himmels in einem Dorfteich. Das Bild ziert die Titelseite der gerade erschienen Marmstorfer Chronik, die Herbert Schulz anlässlich des 200. Jahrestags des Abzugs der Franzosen aus Hamburg herausgegeben hat.

26 lange Jahre hat der Verfasser an seiner Geschichte über Marmstorf und die Ortschaften Appelbüttel und Lürade gearbeitet. „Es ist lachhaft, aber ich stehe dazu“, sagt der 70-Jährige ein wenig schuldbewusst. Dass es so lange gedauert hat, bis die Chronik fertig war, lag aber auch daran, dass der Hobbyheimatforscher vor allem in der dunklen Jahreszeit an seinem Werk feilte, „im Sommer war eher der Garten dran“, gesteht er freimütig. 320 Seiten sind letztendlich dabei heraus gekommen, was dem Verfasser schon ein bisschen ein schlechtes Gewissen macht, „es ist eben ein Buch, in dem man immer wieder mal lesen kann“.

Die Idee, die Geschichte der drei Dörfer aufzuschreiben, kam dem ehemaligen Offset-Druckermeister beim Zeitunglesen. Dort stand etwas über Chroniken aus anderen Dörfern im Landkreis, „da habe ich mich gefragt, was eigentlich mit Marmstorf ist“. So fing er an, Material über längst vergangene Zeiten zum Dorf und seinen Einwohnern zu sammeln.

Sehr dankbar ist Herbert Schulz für die Unterstützung des inzwischen verstorbenen Leiters der örtlichen Grundschule, Rudolf Schumacher. Der hatte schon 40 Jahre lang alles über sein Dorf zusammengetragen, war aber nie dazu gekommen, daraus eine Chronik zu machen. Bevor der ihm 1987 seine Schätze überließ, mußte Schulz erst mal beweisen, dass er der Aufgabe würdig war. „Herr Schumacher legte fünf Chroniken auf den Tisch, ich sollte mich für eine entscheiden“. Offensichtlich traf er die richtige Wahl, denn Schumacher fand, sie seien auf einer Wellenlänge. Hinzu kam, dass Schulz die Sütterlin-Schrift lesen kann, ein großer Vorteil bei der Entzifferung der Texte.

Als Schulz das Material des Schuldirektors sichtete, wurde ihm schnell klar: Hier lag ein großer historischer Schatz in seinen Händen. Hinzu kam, dass Schulleiter Schumacher offenbar auch seine Mitarbeiter zur Recherche herangezogen hatte. So stieß Herbert Schulz auch auf die Ausarbeitungen von Liselotte Krochmann. Die musste 1940 als Prüfungsthema für ihren Abschluss als Lehrerin die Volksbräuche in Marmstorf untersuchen, durch sie erfuhr Autor Schulz viel darüber, wie Richtfeste, Geburten, Taufen und Hochzeiten gefeiert wurden, und wie Beerdigungen vonstatten gingen.

Jedem Thema ist ein Kapitel in der Chronik gewidmet, dementsprechend wurden die Listen, Verträge, Urkunden, Briefe und Zeitungsausschnitte geordnet. Behandelt wird unter anderem die Entstehung der Landschaft in den Eiszeiten, das dörfliche Leben im Mittelalter, die Geschichte der Poststraße, des Feuerteichs und der Auferstehungskirche,. Es geht um Bräuche und Sitten und bis zur technischen Entwicklung in der Landwirtschaft, der Besatzung durch Napoleon und der Zeit während der Nazi-Herrschaft. Immer wenn Herbert Schulz genug Material zu einem Thema gesammelt hatte, schrieb er das entsprechende Kapitel.

Die Informationen dafür kamen von allen Seiten. Schulz stöberte in den Archiven des Kiekeberg- und des Helms-Museums. Auch die Archive der Hamburger Hochbahn und der Stadt Lüneburg stellten Material zur Verfügung, ebenso das Niedersächsische Landesarchiv in Hannover. Eine Fundgrube war auch das Archiv der Harburger Anzeigen und Nachrichten, das als Zeitzeuge über fast 160 Jahre die Geschicke der Dörfer im Landkreis dokumentiert haben.

Und da er als „Nicht-Eingeborener“ die Ortschaften erst seit 30 Jahren kennt, hatte der Chronist kein Problem damit, fachkundige Experten Korrektur lesen zu lassen. Dazu gehörten nicht nur der ehemalige Archivar des Helms- Museums, Dr. Rüdiger Articus, sondern früher schon der ehemalige Harburger Bezirksamtsleiter Hans Dewitz.

Ein Projekt, ein Hobby, eine Passion. Mehr als 70 prall gefüllte Aktenordner mit Texten, Urkunden, Listen und Fotos hat Herbert Schulz im Lauf der Zeit angelegt. Seine Chronik ist, anders als bei vielen seiner Kollegen, ein Buch, das nicht nur dokumentiert, sondern auch lesenswert ist. Zu Beginn eines Kapitels erklärt er mit verständlichen Worten das Thema. Beim Schreiben hatte Schulz immer eins vor Augen: „Ich habe nie vergessen, wer ich bin und für wen ich schreibe – für den ganz normalen Bürger“. Ihn interessierte vor allem, „wie haben die Menschen in Marmstorf gelebt, wie haben sie sich ernährt, wie haben sie ihren Lebensunterhalt bestritten“. Und das von Anbeginn, als die Eiszeit das Antlitz der Landschaft südlich der Elbe formte.

12.000 Jahre vor Christus, in der Altsteinzeit, lagerten in Marmstorf die ersten Menschen, die ersten Bauten errichteten sie hier in der Jungsteinzeit vor rund 3500 Jahren. Im Frühmittelalter um 800 nach Christus entwickelte sich langsam ein festes Dorf. Wie überall ging es in den noch existierenden Urkunden oft um die Abgaben, die die Bauern an den Grundherren entrichten mussten. Sympathisch ist, das Herbert Schulz diese Dokumente in Bild und Schrift zeigt, aber auch sehr anschaulich daraus Rückschlüsse auf das Leben im Alltag zieht und die Umstände erläutert.

Der Lauf der Zeit und politische Veränderungen machten auch vor den Dörfern Marmstorf, Appelbüttel und Lürade nicht halt. Unter der Besatzung Napoleons litten alle gleichermaßen, die Herrschaft des Franzosenkaisers endete für alle drei Dörfer mit einem Brand, der alles zerstörte. Seitdem besteht zumindest Marmstorf als gewachsenes Dorf, während in Appelbüttel und Lürade nur noch der Fachmann die alten Strukturen erkennt.

Um die Jahrhundertwende, als Harburg ein wichtiger Industriestandort war, zogen immer mehr Städter in die Randgebiete, vor allem gut situierte Facharbeiter ließen sich mit ihren Familien in Marmstorf nieder. 1938 wurde das Dorf an die Hansestadt Hamburg angegliedert, auch das dunkle Kapitel der Nazizeit dokumentiert Herbert Schulz akribisch.

Nach so vielen Jahren des Schreibens an seiner Chronik will sich Herbert Schulz nun auf sein umfangreiches Archiv konzentrieren und weiter ausbauen, „das schlummert hier nicht nur, damit arbeite ich“, sagt er. Auch ein nächstes Projekt gibt es für ihn schon. Verraten will er noch nichts – aber es könnte sein, dass es wieder etwas zu tun hat mit seiner umfassenden Chronik über Marmstorf.

Die Chronik kostet 50 Euro und kann telefonisch bestellt werden unter 040/7602228. Mehr zu den Ereignissen in den kommenden Monaten ist im Internet zu finden unter der Adresse www.chronik-marmstorf.de.

Geschichte wird in Marmstorf am 29. März lebendig. Dann wird in Gedenken an das Ende der Franzosenzeit ein großes Fest rund um den Feuerteich gefeiert.