Zwei Männer berichten, wie die Spielsucht fast ihr Leben zerstörte. Heute helfen sie anderen in einer Selbsthilfegruppe

Harburg. Laut Suchthilfebericht 2013 gelten etwa 10.000 Menschen in Hamburg als glücksspielabhängig. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen, darin sind sich alle Experten einig. Von der durch die Hansestadt jährlich mit 18 Millionen Euro geförderten Suchthilfe werden aber nur etwa 1000 Spielsüchtige erreicht. In Harburg werden durch das Suchttherapiezentrum (STZ) in der Knoopstraße 37 pro Jahr etwa 70 bis 80 Betroffene betreut.

Zwei von ihnen, die den Absprung geschafft haben, sind Christian R., 41, und Thorsten H., 53. Der eine war exzessiver Automatenspieler. Der andere verlor sich bei Glücksspielen und Sportwetten im Internet. Gemeinsam versuchen sie seitdem in der Selbsthilfegruppe „ausgespielt“ auch anderen Betroffenen zu helfen. Der Einstieg in den Ausstieg aus der pathologischen Spielsucht aber ist ein schwieriger Prozess. Denn allzu oft dauert es viel zu lange, bis die Betroffenen überhaupt erkennen, dass sie ein massives Problem haben.

„Hätte ich gewusst, wie das einmal endet, hätte ich schon den ersten Automaten von der Wand gerissen“, sagt Christian R. heute. Sein erster Dattelautomat hängt in einem Waschsalon an der Nordsee, da ist er 21 Jahre alt: „Ich wollte mir nur ein wenig die Zeit vertreiben, bis meine Wäsche fertig ist.“ Innerhalb eines Jahres sei er dann voll dabei gewesen. Schon bald habe er täglich in jeder Spielhalle gehockt, die nach dem Job als Landschaftsgärtner nur schnell genug zu erreichen war.

„Die Spielsucht führte rasch in die Isolation“, so der Buchholzer. Freunde wenden sich ab, weil er für sie einfach keine Zeit mehr hat. Und Beziehungen zu Frauen halten nicht lange, weil sein ganzes Geld in den einarmigen Banditen landet. Für seine Sucht nimmt er sogar einen Kredit bei der Bank auf und steht fortan mit 10.000 Euro in der Kreide. „Es gab Phasen, da habe ich mich zwei Wochen lang nur von Reis und Ketchup ernährt“, berichtet er. 50Euro seien keine Tankfüllung mehr gewesen, sondern nur der Zocker-Einsatz für den nächsten Tag.

Irgendwann ist der Stapel unbezahlter Rechnungen so hoch, dass er seinen Briefkasten erst gar nicht mehr leert. Christian R.: „Es war der totale Kontrollverlust. Wenn ich vor den blinkenden Kästen saß, hat die Welt um mich herum nicht mehr existiert. Da hätten vor der Tür Panzer auffahren können, ich hätte es nicht gemerkt.“

Zum Glück sind da die beiden älteren Brüder, die ihn im Oktober 2007 „auf frischer Tat“ beim Zocken ertappen. Und der Gerichtsvollzieher, der eine Zwangsvollstreckung androht. Christian R. unterzieht sich 2008 erfolgreich einer zwölfwöchigen, stationären Langzeittherapie in Bad Hersfeld. Sein Arbeitgeber hält in dieser Zeit zu ihm. Seit einem Jahr ist er schuldenfrei. Und kann auch wieder ohne Angst seinem Briefkasten begegnen.

Auch Thorsten H. hat seine Spielsucht lange geleugnet. Mit dem Internet aufgewachsen, glaubt er, alles im Griff zu haben. Auch, als aus gewöhnlichem Lottospiel exzessives Zocken bei Sportwetten wird. Einmal gewinnt er auf einen Schlag 5000 Euro. Diesen Erfolg will er wiederholen, am besten noch toppen. Doch innerhalb von zwei Wochen hat er seinen kompletten Gewinn verspielt. Immer größere Summen fließen in seine fatale Leidenschaft. Thorsten H. schätzt, dass es in 15 Jahren über 50.000 Euro gewesen sind.

„Ich habe keine Kontakte mehr gepflegt, keine Rechnungen mehr bezahlt und fuhr nicht mehr in den Urlaub. Jeder Euro war nur noch Spielgeld“, sagt Thorsten H. 2008 stellt ihn seine Frau erst zur Rede – Ende 2009 dann den Stuhl vor die Tür. Es folgen Depressionen, ein Suizidversuch, 2011 die Privatinsolvenz. „Es war wirklich fünf vor zwölf. Ich lief Gefahr, alles zu verlieren“, so der kaufmännische Angestellte bei einem großen Energieversorger.

Nach einer dreimonatigen Therapie im Saarland befindet er sich jetzt in Wiedereingliederungsmaßnahmen. Er hat einen Betreuer an der Seite, der über seine Finanzen wacht. Und inzwischen nach eigenem Bekunden gelernt, in der Woche mit 50 Euro Taschengeld auszukommen.

„Die Rückfallgefahr für Spielsüchtige ist in Harburg besonders groß“, sagt Sandra Petrulat vom STZ Harburg. Zum einen, weil die Spielhallendichte im Zentrum immer wieder zum Spießrutenlauf für Abhängige werde. Zum anderen, weil durch die modernen elektronischen Endgeräte das Internet quasi allgegenwärtig sei. „Eine frühzeitige Präventionsarbeit wäre viel günstiger als die Folgekosten, die durch aufwendige und sehr viel teurere Therapien entstehen. Doch fehlen dafür auch in Harburg die personellen Kapazitäten.“

Andererseits gab es Anfang 2012 in ganz Hamburg 4270 offiziell zugelassene Geldspielautomaten.