Unfallchirurg Wolf-Dieter Hirsch sprach in Neu Wulmstorf über Alternativen in der medizinischen Forschung

Neu Wulmstorf. „Tierversuche sind aus wissenschaftlicher Sicht nicht notwendig“, sagt Wolf-Dieter Hirsch vom Verein Ärzte gegen Tierversuche. Darum widmete er sich am vergangenen Freitag dem Thema „Medizinischer Fortschritt und der Wert eines Lebens?“, in Neu Wulmstorf. Die Ortsvereine von SPD und Grünen sowie die Bürgerinitiative „Lobby Pro Tier“ hatten den Unfallchirurg ins Café Pro Vita eingeladen. „Um Tierversuche abzuschaffen reicht es nicht, nur von der ethischen Seite zu argumentieren“, sagt Sabine Brauer von der BI, „wir brauchen auch die wissenschaftliche Sicht, um Bürger und Politiker aufzuklären.“

Wenn Tierversuche abgeschafft werden, würden Menschen nicht gefährdet, ist sich Hirsch sicher. „Umgekehrt sind Tierversuche gar kein geeignetes Mittel um Gefahren für den Menschen auszuschließen“, sagt er. Trotzdem sei es gesetzlich festgelegt, dass jedes neue Medikament in Deutschland im Tierversuch auf Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen getestet werde. 2012 wurden in Deutschland über drei Millionen Tierversuche durchgeführt. Ein Viertel davon in der medizinischen Forschung.

Solche und andere Tests werden auch in Neugraben und Neu-Wulmstorf-Mienenbüttel durchgeführt. Das Labor für Pharma- und Toxikologie (LPT) forscht hier für die Pharma- und Chemie-Industrie. Es gilt als eines der größten in Deutschland.

„Ein Medikament zuerst am Tier zu testen, ist unsinnig. Tiere reagieren oft ganz anders auf den Wirkstoff als Menschen“, sagt Wolf-Dieter Hirsch. So sei Penicillin, ein für den Menschen gut verträgliches Antibiotikum, für Meerschweinchen tödlich. Auch das Schmerzmittel Aspirin wirke gut beim Menschen, für Hunde und Katzen sei es jedoch giftig. „Umgekehrt ist es bei Zyankali, für den Menschen ist es ein tödliches Gift. Eulen sterben nicht daran“, so der Mediziner.

Zudem gebe es individuelle menschliche Erkrankungen. „In der Regel kann man noch nicht mal seinen Hund mit einem normalen Grippevirus anstecken, in den Erkrankungen unterscheiden sich Mensch und Tier einfach“, sagt Hirsch von Ärzte gegen Tierversuche. Er sieht den Nutzen von Tierversuchen nicht bewiesen. Eine Langzeitstudie in Bayern habe sogar gezeigt, dass nur vier von 1200 Tierversuchen auf den Menschen übertragbar seien.

Das habe, laut Wolf-Dieter Hirsch, nicht nur mit den Unterschieden von Mensch und Tier zu tun: „Angst und Haltungsbedingungen verändern die Körperfunktionen bei den Tieren. Es werden Hormone und Adrenalin ausgeschüttet, die Ergebnisse dieser Versuche sind aus meiner Sicht wertlos.“

Der Versuch am Tier kommt noch aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. „Damals hatten die Menschen keine anderen Methoden, um Medikamente zu erproben oder zu forschen“, sagt Hirsch. Inzwischen gebe es andere Möglichkeiten. Ein Beispiel sei das sogenannte Alternative-Leberzell-Kultursystem. Mit menschlichen Zellkulturen würden seit 2008 bessere Ergebnisse geliefert als mit den Tierversuchen. Trotzdem dürfen die Versuche mit den menschlichen Zellen, die aus Krankenhausabfällen stammen, bisher den Tierversuch nicht ersetzen.

Sabine Brauer von der BI „Lobby Pro Tier“ sieht ihre Aufgabe darin, die Politik über das Thema aufzuklären. „Wir müssen von unten nach oben arbeiten. Nur wenn die Politik begreift, wie überflüssig die Versuche am Tier sind, kann das Gesetz geändert und Alternative Methoden zugelassen werden“, sagt sie. Außerdem setzen sich die Mitglieder der BI für eine bessere Dokumentation der Versuche ein. Dafür ist auch Wolf-Dieter Hirsch von Ärzte gegen Tierversuche. „Bisher gibt es keine Datenbank für Tierversuche. Es kann also durchaus passieren, dass derselbe Versuch zweimal durchgeführt wird und noch mehr Tiere unnötig leiden müssen“, sagt er.

Auch sei die Zahl der für Tierversuche eingesetzten Tiere bisher nicht genau. Nach dem Versuch werde die Mehrzahl der Tiere getötet, in der Regel mit CO2. Schon vorher würden Tiere aussortiert. „Für manche Versuche ist nur ein Geschlecht notwendig. Tiere des anderen Geschlechts werden getötet, die tauchen in der Statistik jedoch nicht auf“, sagt der Chirurg.

Zudem nehme der Anteil an sogenannten transgenen Tieren zu. Wegen der mangelnden Übertragbarkeit auf den Menschen, würden Tiere genetisch verändert. Bestimmte Merkmale des Erbguts würden geblockt oder zusätzlich eingesetzt. So würde Mäusen beispielsweise Krebs angezüchtet. „Bis zu einer solchen Krebsmaus kann es zehn Generationen dauern. Neun davon sind für die Forschung wertlos und werden getötet. Sie tauchen jedoch nicht in der Statistik auf“, sagt Wolf-Dieter Hirsch.

Sabine Brauer von der BI betont, dass die Initiative Forschung nicht grundsätzlich ablehne. „Bei Chemikalien und Medikamenten brauchen wir Sicherheit. Dafür bedarf es vieler alternativer Testmethoden“, sagt sie. Bis diese den Tierversuch gesetzlich ablösen, wird es jedoch noch dauern, glaubt Sabine Brauer: „Wir rechnen erst in zehn bis zwanzig Jahren mit einer Gesetzesänderung.“