Reha-Aktiv Friedehorst hilft Menschen mit durch Unfall oder Erkrankung erworbenen neurologischen Schädigungen bei der Rehabilitation

Buchholz - . Es war ein Hase, der dem Schicksal von Anne-Rieke Haar eine dramatische Wendung gab. Die damals 18-jährige Schülerin saß auf dem Rücksitz des Autos, vor dem das Tier auf die Straße hoppelte. Die Fahrerin versuchte auszuweichen. Der Wagen kam ins Schleudern, prallte gegen einen Baum, überschlug sich zweimal. Anne- Rieke erlitt einen Beckenbruch und ein schweres Schädel-Hirntrauma, aus dem sich eine Hirnhautentzündung entwickelte.

Jetzt, sechseinhalb Jahre nach dem Unfall, beginnt für Anne-Rieke endlich das ganz normale Leben. Am 1. Dezember startet die Tarmstedterin in die Berufstätigkeit. Die gelernte Kauffrau für Bürokommunikation wird im Deutschen Milchkontor in Zeven arbeiten. „Dass ich trotz des Unfalls meinen Traumberuf ergreifen und eigenes Geld verdienen kann, hat mir Reha-Aktiv Friedehorst ermöglicht“, sagt die 25- Jährige mit leuchtenden Augen.

Reha-Aktiv ist eine Tochter der gemeinnützigen Friedehorst GmbH, ein berufliches Rehabilitationszentrum für Menschen mit erworbenen neurologischen Schädigungen. Die Krankengeschichten der Rehabilitanden sind sehr unterschiedlich. Sie haben entweder schwere Unfälle oder Schlaganfälle überlebt, sie leiden unter den Folgen operativer Entfernung eines Hirntumors, an Nervenschädigungen durch Sauerstoffmangel, an Epilepsie, Multipler Sklerose oder sind schon in jungen Jahren an Parkinson erkrankt.

Auch nach körperlicher Rehabilitation besteht für die Patienten weiterhin Therapiebedarf

Was alle eint, ist eine positive Prognose. Reha-Aktiv Friedehorst nimmt Genesende auf, die eine realistische Chance auf Wieder-Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt haben. Denn Leistungsträger sind nicht die Krankenkassen, wie bei medizinischen Reha- Kliniken. Die Kosten einer beruflichen Rehabilitierung tragen Rentenversicherer, Berufsgenossenschaften, Unfallversicherer, Haftpflichtversicherungen oder die Agentur für Arbeit. Wer die Buchholzer Einrichtung besuchen darf, gehört somit zu den Glücklichen unter den vom Schicksal Geschlagenen.

Denn auch nach körperlicher Rehabilitation besteht weiter Therapiebedarf. „Wenn jemand organisch fit gemacht wurde, bedeutet das noch lange nicht, dass er auch für die Gesellschaft und das Arbeitsleben fit ist“, erklärt Dr. Heidemarie Hofmann-Princ, Geschäftsführerin von Reha-Aktiv Friedehorst. „Menschen mit erworbenen neurologischen Schädigungen behalten meist bleibende psychische, physische und kognitive Schädigungen zurück. Eine Rückkehr in das alte berufliche und private Leben ist nur in wenigen Fällen sofort möglich. Damit aber bricht für die Betroffenen ein großes Stück persönlicher Selbstbestimmung und Selbstständigkeit weg.“

Genau hier knüpft die im Buchholzer Gewerbegebiet gelegene Einrichtung an. Die Rehabilitanden sind von Anfang an in sinnstiftende Arbeitsprozesse eingebunden, mit denen sie sich identifizieren können. Ihre Tätigkeiten stehen in Verbindung zur realen Wirtschaft. Exemplarisch werden drei Tätigkeitsfelder in fünf Bereichen angeboten: Der gewerblich-technische Bereich mit Holz- und Metallverarbeitung sowie Gartenbau und Kräuterveredelung, der Dienstleistungsbereich mit Hauswirtschaft und Cafeteria sowie der kaufmännisch-verwaltende Bereich. Die Förderung orientiert sich an der individuellen Leistungsfähigkeit und den Zielen der Teilnehmer.

Anne-Rieke war zunächst in der Küche beschäftigt, buk Kekse und bereitete Mittagsgerichte zu. Außer dem Reha-Aktiv-Team –15 Mitarbeiter und etwa zwei Dutzend Rehabilitanden – essen hier auch Beschäftigte der im Buchholzer Gewerbegebiet angesiedelten Unternehmen. Die Nähe ist gewollt: Reha- Aktiv Friedehorst kooperiert mit rund 50 Firmen im Landkreis Harburg. Die Einrichtung vermittelt Praktikumsplätze, damit die Rehabilitanden ihre Arbeitsfähigkeit aktiv erproben und individuell neue Ziele entwickeln können.

So wie Zbingniew Misurski, der auf einer Hamburger Werft gearbeitet hatte, bis er beim Schweißen von der Leiter fiel. Nach dem sechs Meter tiefen Sturz kann er nur noch mit Gehhilfen mühsam laufen und auch das Stehen fällt ihm schwer. An seinen Arbeitsplatz im Schiffsbau kann er somit unmöglich zurückkehren. „Aber ein Schweißer kann auch drehen“, sagt der 55-Jährige selbstbewusst, während er von einem hohen Hocker gestützt an der Werkbank ein Loch in ein Metallteil bohrt, um anschließend ein Gewinde darin zu schneiden. Das hat er in der Werkstatt von Reha-Aktiv Friedehorst geübt und sein Können inzwischen bei einem vom Reha-Zentrum vermittelten Praktikum erfolgreich unter Beweis gestellt. Er wird von der Firma übernommen und künftig halbtags als Dreher arbeiten – sitzend.

So viel Glück hat Thomas Schmidt bisher nicht, obwohl auch er äußerst flexibel ist und eine Menge Know-how mitbringt. Der Metzgermeister hatte sich auf Abfallwirtschaft spezialisiert und als Geschäftsführer eines im Landkreis Harburg bekannten Unternehmens gewirkt, bevor er einem Ruf nach Südafrika folgte. Er organisierte gerade eine funktionierende Müllabfuhr für Kapstadts arme Vorstädte, als ihn ein Schlaganfall ereilte. Seither sitzt er im Elektro-Rollstuhl, ruht aber nicht, für seine berufliche Zukunft zu kämpfen. Er selbst hat sich an die Reha-Aktiv Friedehorst gewandt und in Eigeninitiative hat er sich bereits mehrere Praktikumsplätze besorgt. „Die meisten Arbeitgeber schreckt die Vorstellung, dass ich eine Behindertentoilette und einen höhenverstellbaren Spezialschreibtisch brauche. Dabei würde das Integrations- Amt die Kosten dafür übernehmen“, sagt der 53-Jährige.

Jeder Mitarbeiter von Reha-Aktiv Friedehorst muss sich maximal um fünf Rehabilitanden kümmern

Anne-Rieke hatte vor ihrem Unfall noch keinen Beruf erlernt. Und danach wäre sie den Anforderungen einer Ausbildung in einem Wirtschaftsbetrieb kaum gewachsen gewesen. „Die Rehabilitanden brauchen einen individuellen Zugang und viel Aufmerksamkeit“, erklärt Mathias Garms, Leiter der Einrichtung. Reha-Aktiv Friedehorst bietet seinen Rehabilitanden die Möglichkeit, sich zum Zerspanungsmechaniker, zum Tischler, zum Gärtner für Zierpflanzenbau, zur Fachkraft für Gastgewerbe oder zum Bürokaufmann umschulen oder ausbilden zu lassen. Das Reha- Team besteht aus Fachleuten dieser fünf Bereiche. Jeder Einzelne ist darüber hinaus Pädagoge für Erwachsenenbildung. Außerdem verfügen alle Berufspädagogen über neurologisches Fachwissen. Ferner sind Psychologen und Sozialpädagogen mit Zusatzqualifikationen bei Reha-Aktiv Friedehorst tätig. Ein Mitarbeiter muss sich maximal um fünf Rehabilitanden kümmern.

„Ich bin ganz toll unterstützt worden. Ich habe hier wieder richtig laufen gelernt. Und wieder zu essen“, berichtet Anne-Rieke. Sie kann seit dem Unfall weder schmecken noch riechen. Die dafür nötigen Nerven sind durchtrennt. Irreversibel. „Süß, salzig, sauer – ich kann das jetzt fühlen. Süßes beispielsweise fühlt sich im Mund herrlich weich an.“ Anne-Rieke ist mit sich und der Welt im Reinen. Das hat sie ärztlicher Kunst, eigenem Durchhaltewillen, aber auch dem Team von Reha-Aktiv Friedehorst zu verdanken. Wer der glücklichen jungen Frau heute begegnet, möchte fast meinen, es hätte ihn nie gegeben, diesen Hasen.

Der Weg zu Reha-Aktiv Friedehorst führt über die Antragstellung auf Teilhabe am Arbeitsleben: Direkt nach der medizinischen Maßnahme über den sozial- begleitenden Dienst, über den Leistungsträger, durch Selbsthilfegruppen, Angehörige oder Eigeninitiative.

Reha-Aktiv Friedehorst gGmbH, Brauerstraße 1a, Telefon 0 41 81/96 80 80. www.reha-aktivfriedehorst. de