Die Buchholzer Kreisvolkshochschule führt Erwachsene zum Schulabschluss. Für viele ist es eine letzte Chance

Buchholz. „Hätte“ und „wäre“, diese zwei Worte benutzt Sascha Siemers oft. „Hätte ich gewusst, wie einfach das ist, wäre es wohl anders gelaufen“, sagt der 29-Jährige mit etwas Reue in der Stimme. Doch anstatt sich früher in der Schule anzustrengen, tat er – nichts. Der Unterricht zog an ihm vorbei, ohne dass er daran teilnahm. Körperlich war er zwar anwesend, aber geistig ganz weit weg. Die Schule war für ihn ein Ort, an dem man mit seinen Klassenkameraden eine entspannte Zeit verbringt. Am Ende ging Sascha Siemers nach der achten Klasse ab. Ohne Hauptschulabschluss und ohne Perspektive.

13 Jahre später sitzt der Tostedter im Raum vier der Kreisvolkshochschule (KVHS) im Buchholzer Kabenhof und schlägt das Schulheft wieder auf. Lehrerin Christine Melcher will heute über wörtliche Rede und den Konjunktiv in der indirekten Rede sprechen, es geht um die Textstruktur einer Kurzgeschichte und die Frage, wie man richtig zitiert. Sascha Siemers ist einer von insgesamt 17 anderen jungen Leuten, die die Chance ergriffen haben und auf dem sogenannten zweiten Bildungsweg den Realschulabschluss packen wollen.

„Denken Sie daran, Sie lernen für sich“ hat die Lehrerin an die kleine Tafel geschrieben, auf der auch die Termine der Klausuren und der Stundenplan stehen. Der Satz soll als Motivation dienen, nicht in alte Muster aus der Schulzeit zurückzufallen, in der Unterricht eher ein lästiges Übel war und nichts mit ihrem Leben zu tun hatte. Neben den Hauptfächern Deutsch, Mathe und Englisch lernen die Schüler seit Juni Biologie, Physik oder Chemie sowie Erdkunde und Geschichte. Fünf Tage die Woche, von 9 bis 14 Uhr. Ende Mai 2014 wird der Unterricht des Vorbereitungskurses vorüber sein. Die 17 Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden dann – sofern sie durchgehalten haben – ihre Abschlussprüfung in Zusammenarbeit mit der Realschule Meckelfeld absolvieren.

Die Klassen sind klein und überschaubar, Lehrerin Christine Melcher ist für sie viel mehr auf Augenhöhe als das bei einem klassischen Lehrer der Fall ist. „Man kann die Erwachsenen nicht wie Kinder behandeln“, sagt die Pädagogin. „Früher habe ich in Deutsch geschlafen, aber hier höre ich zu, weil etwas auch nach der zehnten Nachfrage nochmal erklärt wird“, sagt Besir Ökmen. Der 21-jährige Buchholzer hat vor zweieinhalb Jahren in Winsen den erweiterten Hauptschulabschluss gemacht und sich danach als Selbstständiger ins Gastronomie-Gewerbe gewagt. Nach einiger Zeit im Job wurde ihm aber klar, dass er nicht „dumm sterben will“, wie er sich ausrückt. Er habe früher einfach keine Lust mehr auf die Schule gehabt, sagt er. Von daher bereut er seine damalige Entscheidung auch nicht, sie war zu diesem Zeitpunkt auf jeden Fall richtig.

Bei Mitschülerin Maija Levits liegt der Fall etwas anders. Die 25-Jährige war ursprünglich auf einem Gymnasium, als sie mit 14 Jahren körperliche Probleme bekam und die kommenden acht Jahre in Kliniken verbrachte. „Meine Eltern haben mit dem Schulleiter gesprochen, dass ich am Ende wenigstens den Hauptschulabschluss bekomme“, erzählt die Hamburgerin, die mittlerweile in Handeloh wohnt. Im Krankenhaus besuchte sie regelmäßig eine Art Schule, damit sie nicht ganz den Anschluss verliert. Doch sie merkte, dass die Gruppensituation für sie ziemlich ungewohnt und schwierig war. „Als ich 22 wurde, musste ich erst einmal gucken, wie ich die ganzen Jahre wieder aufhole“, sagt sie. Den Realschulabschluss sieht Maija Levits nur als eine Zwischenetappe an, ihr Ziel ist das Abitur.

„Ich sauge hier alles auf“, sagt auch Sascha Siemers. Der Tostedter will unbedingt in die Erzieherausbildung gehen, um später in einer Justizvollzugsanstalt oder bei Projekten wie „Ausbildung und Arbeit“ einen Job zu finden, wo er auf junge Leute trifft, die in das Berufsleben integriert werden sollen. „Diesen Leuten würde ich gerne von meinen Erfahrungen erzählen.“

Alle vier sind davon überzeugt, dass sie am Ende den Realschulabschluss bestehen werden. „Wir unterstützen uns gegenseitig, und auch unsere Lehrer sind immer für uns da“, sagt Maija Levits. Dass das am Ende größtenteils von Erfolg gekrönt ist, bestätigen die Resultate: Fast alle, die sich anmelden und der Abschlussprüfung stellen, schaffen es auch. Sei es mit einer Eins oder einem „gerade bestanden“.