Als Kind habe ich im Advent einen Wunschzettel geschrieben.

Wie wohl alle Kinder damals. Ich habe ihn nicht an das Christkindl-Postamt geschickt, sondern am Nikolaustag in den Schuh gesteckt. Erinnerungen steigen in mir auf. Ich bin 1940 geboren, denke an die karge Zeit. An harte Winter, kalte Räume. Kohlen für die zwei Öfen im ganzen Haus waren knapp. An zu dünne Jacken, Schuhe, nicht wintertauglich, und an kalte Füße.

So wie es Leopold Kammerer in seinem Buch „Es geschah zur Nacht“ beschreibt. 1948 wendet sich der Sepp an das „liebe Christkind“ (hat wohl in einer christlichen Familie gelebt, der Weihnachtsmann findet keine Erwähnung). Er wünscht sich, mal wieder zu Onkel Max, einem Metzgermeister, zu fahren. Damit er so viele Würste essen darf, „wie er runterkriegt“. Diesen Heißhunger auf Würste hatte ich auch. Aber sein Riesenwunsch ist folgender: „Es wäre schön, wenn du uns (das Christkind!) helfen könntest, dass der Papa endlich aus der russischen Kriegsgefangenschaft heimkommen darf.“ Diesen Wunsch hatte ich 1945 auch, lieber Sepp!

Zehn Jahre später wünschte sich Manuela einen Hula-Hopp-Reifen und einen warmen Mantel, weil sie aus dem alten herausgewachsen war. Immer noch bescheiden, diese Manuela. Ich trug damals einen Dufflecoat aus einem Fliegermantel meines Vaters… Auf dem Rücken musste ein Flicken eingesetzt werden. Der Stoff reichte nicht. Das war mir peinlich. Thomas wird 1975 schon anspruchsvoller. Das Wirtschaftswunder hält an. Der schreibt weder ans Christkind noch an den Weihnachtsmann. Bei ihm klingt das kurz und bündig so: „Ich brauche: einen tragbaren Plattenspieler (Marke Dual), einen Koffer dafür und viele dolle Platten…, ein Mofa… Mein Lieblingswunsch: …eine Gitarre. Aber keine so altmodisch braune… und einen Verstärker“.

Sylvia steigert das und schreibt 1990 nur noch eine Geschenkliste, ohne Adresse und Absender (wie heute bei Hochzeiten!): „Einen tüchtig ausgebleichten Jeansanzug aus der Boutique…, ein Klapprad, im Auto mitzunehmen… Abhaken, was ihr kauft, und die Liste an Oma und Tante weitergeben.“

2003 meldet sich Opa Blumberger zu Wort. Er wendet sich gleich an den Herrgott! „Lieber Herrgott! Lass doch endlich die Menschheit wieder bescheidener werden! Es muss doch nicht jedes unreife Mädel von zu Hause ausziehen und eine eigene Wohnung haben… Auf jeder Hundehütte steht heute bereits eine Fernsehantenne drauf, und jeder Schrebergärtner braucht ein ‚Schwimmingpul’! Jeder will in Urlaub fliegen und unsere Hausmeisterin in die Karibik. Und keiner ist mehr zufrieden!...

So geht’s doch nicht weiter. Lieber Herrgott, hau doch einfach mal dazwischen, dass die Leute wieder vernünftig und bescheiden werden. Und schau auch, dass sie mir meine Rente nicht kürzen!“ Nach dieser adventlichen Zeitreise nach dem Zeitzeugen Leopold Kammerer sind wir im Jahr 2013 angekommen. Wie sieht’s heute aus? Geht’s bescheidener und vernünftiger zu?

Bei Jugendlichen in unserer Region schon. Die Schülervertretung des Friedrich-Ebert-Gymnasiums Heimfeld führt wieder eine Weihnachtsspendenaktion durch. Im letzten Jahr hat sie das stolze Ergebnis nach Afrika verschifft. In einem Brief an die „lieben“(!) Lehrerinnen und Lehrer bitten sie darum, in allen Klassen für ihre Aktion zu werben. Sie wollen Bedürftige hier unterstützen, arbeiten mit der „Hamburger Tafel“ zusammen.

Und die wiederum mit Supermärkten. Die stellen Konserven, Nudeln, Süßigkeiten und Hygieneartikel zur Verfügung. In unserem Supermarkt werden die Kunden aufgefordert, Tüten mit Grundnahrungsmitteln zu kaufen. Die geben die Geschäfte dann an die „Hamburger Tafel“ weiter. Das Team der Schülervertretung aus Heimfeld hofft auf zahlreiche Teilnahme, „so dass nicht nur wir am Ende vollgefüttert mit Schokolade unterm Weihnachtsbaum liegen.“

Die heutigen Thomasse (siehe der Thomas von 1975 mit „Ich brauche…“) und die Sylvia von 1990 (die mit ihrer Geschenkliste) sind nicht mit jenen zu verwechseln. Heutige Jugendliche haben mehr von Weihnachten verstanden als ihre Vorgänger. Der Wohlstand muss nicht unbedingt junge Menschen zu Materialisten machen. Von denen, die mehr an andere denken als nur an sich selbst, hätten wir gern mehr. Auch ein Wunsch auf meinem Wunschzettel.

Helge Adolphsen ist Hauptpastor em. der St.-Michaelis-Kirche