Enno Stöver arbeitet bei Airbus in der Fertigungstechnik und ist 2. Patron der Harburger Schützengilde

Harburg. Frauen machen das Frühstück. Gerade unter der Woche, wenn die Kinder zur Schule müssen. So ist es in vielen Haushalten üblich. Klar. In der Familie des munteren Mannes mit dem kleinen Glitzerstein im Ohrläppchen allerdings nicht. Papa steht um sechs Uhr auf, holt die Zeitung rein, unverzichtbar für das Frühstück – es ist auch noch das Hamburger Abendblatt – macht Kaffee und sorgt für Futter auf dem Tisch und in den Brotdosen. „Das ist mir wichtig“, sagt Enno Stöver.

„Das gemeinsame Frühstück ist so wichtig, weil es der Zeitpunkt am Tag ist, zu dem wir alle zusammen sind“, sagt er. Wenngleich Henning (8), Thilo (5) und Arne (1) durchaus einen Lärmpegel entfalten können, den „die Arbeitssicherheit bei Airbus für unzulässig erklären würde“.

Auch am Wochenende weicht die Familie im Grunde nur in einem wesentliche Punkt davon ab. Die Stövers fangen dann etwas später damit an. Das klingt schon fast nach Tradition. Na wenn schon, mit diesem Begriff hat der promovierte Ingenieur ohnehin keine Probleme. „Ich bin ein traditionsbewusster Mensch“, sagt Stöver. Das muss er ja wohl auch sein. Immerhin ist er – darf man sagen im Zweitberuf – 2. Patron der Harburger Schützengilde, er trägt den langen Mantel der Deputation, Führungskraft mithin. Logisch also.

Das ist dem Airbus-Teamleiter zu einfach. „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche sondern die Weitergabe des Feuers“, zitiert Stöver den Komponisten Gustav Mahler. Heißt? „Nicht was ist tue ist wichtig, sondern dass es mit Inhalt gefüllt ist. Welche Werte zählen? Darüber mache ich mir Gedanken“, sagt der 38-Jährige. „Wir stehen in einer Reihe. Was ich tue, hat jemand vor mir auch schon einmal getan. Es ist gut, sich das immer mal vor Augen zu führen. Es sorgt dafür, die eigenen Position nicht zu überhöhen.“

Darin sieht er vor allem den Unterschied zwischen Tradition und Traditionalismus. „Es muss schon Sinn machen. Sonst wird aus traditionellem Handeln schnell ein sinnfreies Ritual“, sagt Stöver, der durchaus für Regelmäßigkeiten und wiederkehrendes Handeln ist. „Das tut gut, gibt Halt, schafft Strukturen und damit Ruhe und Gelassenheit. Doch man muss es weiter entwickeln und zeitgemäß halten“, sagt er.

Deshalb sieht er auch keinerlei Widerspruch zwischen seinem Beruf, bei dem es auf ständige Innovation und Entwicklung ankommt, und der Traditionspflege bei der Gilde. Bei der Frage nach einem Spagat huscht ein schnelles Grinsen über sein Gesicht: „Jede Entwicklung braucht einen Anfangspunkt. Sicherlich sind dafür auch Ideen, Ziele oder sogar Visionen erforderlich, doch ohne diese Basis geht es nicht.“

Tradition und Moderne sind für Stöver die zwei Seiten derselben Medaille. Sie bilden so etwas wie ausgleichende Gewichte in seinem Leben. Nicht von ungefähr hat der Mitarbeiter von Deutschlands Airliner-Schmiede immer einen dicken Kalender bei sich, „als Gegengewicht zur digitalen Flut“. Der sieht aus wie eine abgegriffene Bibel, ist aber tatsächlich eine Sammlung von Terminen, Ideen, Erinnerungen und Zitaten, die ihm im Laufe eines Tages so querkommen. Wohlverstanden – die Bibel selbst gehört auch zum Inventar seiner Aktentasche. Wie beiläufig zieht der 2. Patron sie hervor und lässt sie wieder zurücksacken.

Im zweiten Jahr führt er dieses tägliche Buch. „Am Jahresende ist das wie ein Tagebuch“, sagt Stöver. Teil des ewigen Buchs wiederum ist die Losung des Tages, die Stöver immer aufnimmt. Tägliche Zitate aus dem alten und aus dem neuen Testament. Eines trägt er dann in seinen Kalender ein. Losung des Tages bei unserem Frühstück ist: „Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.“ Jesaja 50,4.

Im Moment braucht er die Losung allerdings nur einzukleben. Wie die Bilder, die kleinen Zeitungsartikel oder Eintrittskarten zu Ereignissen, an die sich Stöver erinnern möchte, wenn er durch seinen Kalender blättert. Denn seine drei Jungs haben ihm für die Adventszeit aus den Losungen des Tages einen Adventskalender gebastelt.