Eine Glosse von Alexander Mittelacher

Im unermüdlichen Ringen um mehr Bürgernähe ist der Winsener Stadtverwaltung ein Coup gelungen, dem wegen seiner einfachen und eben deshalb genialen Idee Hochachtung gebührt. Winsener, denen es vergönnt ist, Goldene, Diamantene, Eiserne oder sogar Gnadenhochzeit zu feiern, können der Festlichkeit einen echten Höhepunkt verleihen. Der ehrenwerte Bürgermeister André Wiese gratuliert persönlich. Selbstverständlich will ein Ereignis dieser Tragweite mit deutscher Gründlichkeit vorbereitet sein.

Also bleibt den betagten Jubilaren nichts anderes übrig, als die Glückwünsche völlig unbrürokatisch unter Vorlage der Heiratsurkunde schriftlich zu beantragen. Aber bitte nicht per Post. Persönliches Erscheinen „im Rathaus, Zimmer 1.02 (Altbau) oder in den Ortsteilen bei den Ortsvorsteherinnen/Ortsvorstehern“ ist unabdingbar, definiert Stadtsprecher Theodor Peters die Spielregeln. Frist ist der 31. Dezember. Wer möchte, dass der Bürgermeister nicht nur per Brief gratuliert, sondern höchstselbst zum Freudenfest einfliegt, muss zudem mindestens 99 Jahre alt sein. Glückwunsch für so viel Volksnähe, Herr Verwaltungschef!

Hoffentlich haben die kreativen Köpfe der städtischen Bürokratie das Potenzial der bahnbrechenden Idee erkannt. Für noch mehr Bürgernähe könnten etwa tröstende, anerkennende und würdevolle Worte bei einer Beerdigung ins Portfolio genommen werden. Der Tote muss lediglich im Rathaus einen schriftlichen Antrag stellen. Die Geburtsurkunde ist beizufügen. Aus Sicherheitsgründen in doppelter Ausführung. Man stirbt schließlich nur einmal.