Fußgängerzone wird zu teuer. Weil die Miete steigt, zieht der Familienbetrieb Lehmann in den Deichhausweg um

Harburg. Wenn es das New Yorker Auktionshaus Christie’s in die Nachrichten schafft, entsteht schnell der Eindruck, der Kunstmarkt sei allein ein Tummelplatz für Superreiche. Der 15. Mai in diesem Jahr war so ein Tag: Allein ein Graffiti-Bild des Künstlers Jean-Michel Basquiat erzielte einen Preis von beinahe 50 Millionen Dollar. Dass auch Normalverdienern der Zugang zum Kunstmarkt möglich ist, zeigt die Harburger Galerie Lehmann mittlerweile seit 30 Jahren – und trotzt damit den Möbelhäusern, die Massenkunst in Form von bedruckten Plastikfolien verramschen, und einem veränderten Käuferverhalten, das inhabergeführte Fachgeschäfte immer mehr links liegen lässt.

Von den Entwicklungen, die dazu führen, dass Fachgeschäfte sterben, bleibt auch die Kunsthändler-Familie Lehmann nicht unberührt. Die Galerie, die seit 28 Jahren am Harburger Ring 17 beheimatet ist, wird zum 1. April 2014 kaum mehr als 200 Meter weiter in den Deichhausweg 11 umziehen. Das Immobilienunternehmen Alstria wird das Geschäfts- und Bürohaus, zu dem die Galerie gehört, von Grund auf sanieren. Das wird eine höhere Miete nach sich ziehen – zu viel für eine kleine Galerie. Daraus macht Heinz-Michael Lehmann, 69, keinen Hehl. Am neuen Standort am Deichhausweg zwischen Rathaus und Fußgängerzone vergrößert sich die Galerie immerhin um 60 auf insgesamt 160 Quadratmeter Geschäftsfläche.

Der Geschäftsgründer hätte seine Galerie auch gern in der Harburger Fußgängerzone angesiedelt. Der Kunsthandel hätte dem Branchenmix in der Lüneburger Straße sicher gut getan. Aber selbst in einem Umfeld, wo heute der Leerstand das Bild dominiert und Billig-Friseure und Handy-Läden sich breitmachen, sind die Mietkonditionen für inhabergeführte Fachgeschäfte offenbar immer noch nicht erschwinglich. Mindestens 20 Euro pro Quadratmeter hätten Lehmanns bezahlen müssen – das ist nicht wirtschaftlich für eine kleine Galerie. Früher, sagt Heinz-Michael Lehmann, hätte es Fachhändler ringsherum gegeben. „Jetzt fahren die Leute in das Phoenix-Center und laden ihre Kinder in der Eisdiele ab.“ Wenn sie nicht gleich im Internet kaufen.

In der Regel ist der Kunstmarkt keine Glitzerwelt. Er bildet den kleinsten Teilmarkt der Kultur- und Kreativwirtschaft. Mehr als 95 Prozent seiner Akteure machen nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums Kleinstunternehmen und Freiberufler aus. Wie hat die Familie Lehmann ihre Rolle in dem Markt gefunden?

Den Broterwerb sichert das Handwerk. Die Dienstleistung am Bild, das Rahmen, bringe den meisten Umsatz, sagt Heinz-Michael Lehmann. Nur noch etwa zehn Fachhändler in Hamburg würden noch hochwertige Rahmen anbieten. Bei Bilderrahmen von hoher Qualität sei seine Galerie auch nicht teurer als die Baumärkte, fügt er hinzu. Eine der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen wusste das Handwerk der Galerie Lehmann zu schätzen: Hanne Darboven (1941-2009) ließ ihre Kunst dort rahmen und war damit die größte Kundin für diese Dienstleistung. „Jede Woche hat sie auf der Matte gestanden“, erinnert sich Lehmann.

Die Firmengründer Heinz-Michael, 69, und Monika Lehmann, 70, haben daran gedacht, sich zur Ruhe zu setzen. Nun aber ziehen sie mit ihrem Kunsthandel um und machen weiter. Die Fortexistenz ihres Unternehmens ist gesichert, weil sie einen Nachfolger haben: Ihr Sohn Alexander, 47, ist seit 2001 in das Geschäft mit eingestiegen. Und ans Aufhören denkt er nicht: „Die Kunden sind dankbar und zufrieden. Das gibt einem Mut, auch in schweren Jahren weiter zu machen.“ Ursprünglich hat Alexander Lehmann Erzieher gelernt. Anschließend studierte er Kunst an der Free International University in Hamburg. Vater und Mutter sind Kaufleute: Heinz-Michael Lehmann hat an prominenter Adresse, der Maximilianstraße in München, im Kunsthandel gelernt. Monika Lehmann ist Großhandelskauffrau.

Familie Lehmann handelt mit Gemälden, Aquarellen, Grafiken und Gemäldereproduktionen. Sie vertritt zeitgenössische Künstler aus Norddeutschland und dem Rheinland. „Aus Harburg nicht, die vermarkten sich selbst“, sagt Heinz-Michael Lehmann. Die Kunst im Stadtteil fördert er noch als Vorsitzender des Vereins Künstler zu Gast in Harburg, dem er seit Oktober vorsteht.

Der Vater schätzt den postmodernen Realismus eines Sigmar Polke, ein Maler und Fotograf, der für Schabernack zu haben war. Der Sohn kann Jonathan Meese viel abgewinnen und verehrt Joseph Beuys. Es habe Zeiten gegeben, da habe er eine Fettecke interessanter gefunden als jedes Gemälde, sagt Alexander Lehmann. Bei der Auswahl, was in der eigenen Galerie angeboten wird, sei sich die Familie einig. Die eigene Kunstgeschmack sei dabei das Hauptkriterium. „Wenn man hinter einer Sache nicht steht, kann man sie auch nicht verkaufen“, sagt Heinz-Michael Lehmann.

Im Wettbewerb mit dem Internethandel, Baumärkten und Möbelhäusern sieht Alexander Lehmann den Weg der Galerie darin, stärker auf Unikate zu setzen. Der Trend gehe zu Originalen, zum einzigartigen Kunstwerk, sagt er. Moden am Kunstmarkt können schnell wechseln. Das musste sogar Picasso erfahren: Das Spätwerk des spanischen Malers galt zu dessen Lebzeiten als schwer verkäuflich – heute ist es sehr begehrt. Wie Kunsthändler bei der Einschätzung einer Schaffensphase daneben liegen können, weiß auch Heinz-Michael Lehmann. Er hielt die Pop Art für ein Phänomen, das nach fünf Jahren erledigt sein würde. „Bei Andy Warhol“, sagt er und schmunzelt, „habe ich mich wohl geirrt.“